Wie viel Erinnerung ist richtig?

11.08.2013 

Liebe Potsdamerinnen und Potsdamer,

in dieser Woche jährt sich zum 52. Mal der Tag des Mauerbaus. Es war keine gewöhnliche Mauer, sondern eine Gefängnismauer die Familien, Freunde und Bekannte getrennt hat. Allein 110 der 160 Kilometer lagen im damaligen Bezirk Potsdam. Das Gedenken an den Jahrestag des Mauerbaus und dessen Folgen sind mir persönlich daher sehr wichtig. Denn diese Mauer hat Leben zerstört. Das Zentrum für Zeithistorische Forschung in der Landeshauptstadt hat in den vergangenen Jahren die Biografien der Menschen erforscht, die an diesem „antiimperialistischen Schutzwall", dieser Grenze der Unmenschlichkeit, ihr Leben verloren haben. Allein in Potsdam sind es 20 Tote und Abertausende, die unter dieser Mauer und dem dafür verantwortlichen Regime gelitten haben.

Den Opfern wurde dieses Leben auf brutale Weise entrissen. Besonders perfide ist die Geschichte eines Mädchens aus Klein Glienicke. Sie war auf dem Griebnitzsee ins Eis eingebrochen und keiner durfte ihr helfen, weil die Grenzposten die Hilfe untersagten und eine Republikflucht vermuteten. Eine Ausstellung vor zwei Jahren hat zahlreiche Schicksale und das Leben an der Potsdamer Mauer sehr anschaulich dokumentiert.

Es fällt schwer beim Gedenken an diese einzelnen Schicksale an Zahlen und Fakten zu erinnern. Aber auch das gehört zu einem solchen Tag. An den Grenzanlagen des DDR-Regimes sind in Potsdam mehr als 20 Menschen umgekommen, etwa 7000 Menschen wurden als politische Gefangene im ehemaligen Gefängnis der Staatssicherheit in der Lindenstraße 54 inhaftiert. Allein wegen versuchter Republikflucht wurden in der DDR 71.000 Freiheitsstrafen verhängt. In der Gedenkstätte Lindenstraße haben wir dies mit großer Detailtreue und vielen Zeitzeugenberichten dokumentiert.
 
Neben der Gedenkstätte Lindenstraße gibt es heute zahlreiche Hinweise auf die Vergangenheit in unserer Stadt. Auf diese 27 Jahre, in denen Potsdam am Ende der Welt zu liegen schien. Wenn Sie sich eine alte Landkarte der Bezirksstadt anschauen, so gibt es immer weiße Flecken auf der Berliner Seite. Als sei dort nichts gewesen, nichts worüber es sich zu reden gelohnt hätte. Als ob Potsdam ein Stadt war, die an einer Wand klebte und nur in drei Richtungen Straßen besaß.
 
Einige Stellen sind sogar noch heute so, als wäre die Zeit stehengeblieben. Nehmen Sie die Bertinienge am Jungfernsee mit dem ehemaligen Grenzturm in der Bertinistraße, ein zentraler Ort des 5. MauerVerlaufs am Dienstag. Start ist um 17 Uhr an der Glienicker Brücke, der Weg führt anschließend über Schwanenallee, Neuer Garten und Bertinistraße zur Bertinienge. Dort erleben Sie den Grenzturm, die alten Fahnenmasten, die Peitschenlampen, das Haus der Grenzer und die Kaimauer, an der die Transit-Schiffe kontrolliert worden sind. Einzig die Sperrkähne mit dem versenkbaren Kettennetz im Wasser der Havel sind nicht mehr da sowie die Bootskompanie des Grenzregiments 44 Walter Junker selbst. 

Heute gehört dieser Turm zu einem zentralen Bestandteil der Gedenk- und Erinnerungskultur. In den nächsten Monaten wird an der Stelle ein Uferweg errichtet, der von der Glienicker Brücke dann durchgängig bis Neu Fahrland führt. Geplant ist auch, diesen am Wachturm vorbeizuführen.
Ich denke, die Erinnerung an den Tag des Mauerbaus und dessen Folgen sollten niemals verblassen. Heute ist es wichtig dafür zu kämpfen, dass die Erinnerung nicht immer diffuser und ungenauer wird. Diese Mauer sollte uns Mahnung sein, dass ein solches System, das seine Bürger einschließt, nie wieder entstehen darf. Mit Sicherheit war in der DDR nicht alles schlecht - aber die Mittel dieses Systems waren und sind nicht tolerierbar.

Wo auch immer Freiheit beschnitten und Menschen ihrer Rechte beraubt werden, da müssen wir dagegenhalten. Wo immer Regierungen glauben, ihre Bürgerinnen und Bürger unterdrücken zu können, da müssen wir Widerstand leisten. Und wo auch immer Menschen aus politischen Gründen voneinander getrennt werden, die zusammengehören, da dürfen wir nicht schweigen. Denn das sind wir den Opfern der Mauer und den Überwindern der Mauer gleichermaßen schuldig!  

Ihr

Jann Jakobs



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