Jahrestag einer Schande

3. November 2013

Liebe Potsdamerinnen und Potsdamer,

der nächste Samstag ist ein Jahrestag der Schande. Denn an diesem Tag jährt sich ein Verbrechen. Es ist am 9. November 2013 genau ein Dreivierteljahrhundert her, dass überall im 3. Reich die Synagogen brannten. 

Und es ist ein Lehrstück über die Komplexität unserer deutschen Geschichte, dass dieser 9. November, der 1989 auch den Fall der Mauer und schon zuvor im Spätherbst 1918 mit der Novemberrevolution das deutsche Kaiserreich zusammenbrechen sah, dass dieser 9. November also die ganze Gebrochenheit und die Diskontinuitäten einer Nation widerspiegelt wie kein anderer. Ein „deutscher“ Tag, kein stolzer Tag - trotz der Freude über den Fall der Mauer.

Denn das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, verübt von Deutschen an Deutschen und anderen Völkern, dieses Verbrechen warf an jenem Tag seine Schatten voraus und die NS-Diktatur zeigte ihre ganze Abscheulichkeit erstmals wirklich in dieser Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Natürlich gab es schon vorher Unterdrückung, Ausgrenzung und Terror gegen Juden und alle, die nicht ins Weltbild der Nazis passten, natürlich brannten schon 1933 die Bücher. Doch jetzt brannten Glaubenshäuser, bald, sehr bald würden Menschen brennen. 

Ich empfinde tiefe Scham und bin voller Trauer und stiller Wut angesichts dieser unmenschlichen Verbrechen, die in ganz Deutschland und auch in Potsdam verübt wurden. Und deshalb ist es auch besonders wichtig, dass wir diese schrecklichen Jahrestage zum Anlass nehmen, der Opfer von Terror, Unterdrückung und Massenmord zu gedenken. Denn keine Gemeinschaft, keine Gesellschaft und auch keine Stadt kann ohne Gedächtnis und ohne Erinnerung leben. Ohne Erinnerung zu leben würde bedeuten, ohne Identität und somit ohne Orientierung zu leben. Um zu wissen wo wir hinwollen, müssen wir erst verstehen wo wir herkommen.

Deshalb bin ich dankbar, dass Potsdam sich seiner Geschichte stellt. Wir konnten am 12. September die NS-Ausstellung in der Gedenkstätte Lindenstraße eröffnen, also einem authentischen Ort der Verfolgung über mehrere Diktaturen hinweg. Wie Sie wissen diente das Haus in der Zeit des Nationalsozialismus als Untersuchungsgefängnis für politische Häftlinge und war auch Sitz des sogenannten „Erbgesundheitsgerichts“ der Nationalsozialisten. 

Wir zeigen im Stadthaus noch bis zum 15. November die Ausstellung Aktenkundig: „Jude“, die belegt, wie traditionelle Verwaltungsbehörden sich aktiv an der Umsetzung der antisemitischen Gesetze und Verordnungen beteiligten. Und wir können mit viel Stolz auf unsere Schülerinnen und Schüler in der Landeshauptstadt Potsdam blicken, die im Projekt „Stolpersteine“ die Erinnerung an die einzelnen Opfer des Holocausts mit viel Engagement und Elan betreiben.

Das alles passt gut zu unserer Stadt, die sich Werte wie Toleranz, Offenheit und eine Kultur des Miteinanders auf die Fahne schreibt. Gerade vor ein paar Tagen konnten wir erst ein wahrhaft positives Jubiläum feiern. Denn das Neue Potsdamer Toleranzedikt feierte seinen 5. Jahrestag. Unser Leitbild als weltoffene und tolerante Stadt wurde 2008 festgeschrieben und richtet sich gegen jede Form von Ausgrenzung, Diskriminierung und Extremismus.

Und so und nur so - durch aktive Erinnerungsarbeit und tagtäglich gelebte Toleranz - kann dieser Jubiläumstag der Schande noch zu einem positiven Ergebnis führen. Zum Wohle unserer Stadt und all der verschiedenen Menschen, die in ihr wohnen. 

Ihr

Jann Jakobs

 


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