Geschichten über Potsdamer Olympioniken: Die Kanuten reißen alles raus

Potsdamer Olympioniken, Folge 16

Potsdamer Olympioniken, Teil 16

London 2012

Text: von Horst Sperfeld

Bereits zum dritten Male in der 1896 begonnenen Geschichte der olympischen Neuzeit richten die Briten die Spiele aus. Sie waren bereits 1908 und 1948 die Gastgeber. Doch ein Vergleich mit den beiden Vorgänger-Veranstaltungen lässt sich schon größenmäßig kaum anstellen. 1908 schickten 22 Nationen eine Mannschaft. 2047 aktive Sportler, darunter lediglich 42 Frauen, absolvierten ihren Wettbewerbe zudem über ein halbes Jahr verteilt. 1948 kamen zu den ersten Spielen nach dem verheerenden Weltbrand schon 4109 Starter (355 Frauen) aus 59 Ländern ins von den Bombardements gezeichnete London.  Deutschland blieb außen vor, war als Kriegsauslöser und -Verlierer noch nicht wieder zugelassen. Diese Zahl von Sportlern mussten ihre 136 Wettbewerbe schon innerhalb von zwei Wochen bewältigen, was das Gedränge natürlich erhöhte.

Doch das war noch gar nichts gegen die 10.519 Aktive (davon schon fast die Hälfte Frauen) aus 205 Staaten, die im Jahre 2012 in der Metropole des Commonwealth wetteiferten. London hatte sich in der Nachkriegszeit zwar schon stark gemausert, musste sich für diesen Sportlertreff jedoch weiter verändern. Und das tat diese sonst so konservative, multinationale Millionen-City in gigantischem und innerstädtisch lange bekämpftem Maße. Der gesamte Ostteil der Stadt, der bis dahin der ärmeren, von bis zu 50 Prozent Arbeitslosigkeit geplagten Bevölkerung vorbehalten war, wurde umgekrempelt und erneuert. Wo über Jahrhunderte bescheidene Behausungen standen und kein Tourist seinen Fuß hinsetzte, wuchs ein riesiger Olympiapark heran. Rund zehn Milliarden britische Pfund ließ sich das Land diesen Umbau und die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele kosten. Dass die einfachen Leute deshalb lange nichts von dem Großereignis wissen wollten, lässt sich vorstellen. Das 60. Thronjubiläum von Königin Elisabeth II. etwas mehr als einen Monat vor den Spielen war weitaus populärer. Doch das änderte sich schlagartig, als es am 27. Juli mit einer großen Eröffnungs-Party endlich los ging.

Sportlich boten die Spiele von London, bei denen der Olympiasieger von 1980 Sebastian Coe dem Organisationskomitee vor stand, eine tolle Show. Wie schon vier Jahre zuvor in Peking, hatten der jamaikanische Sprinter Usain Bolt und US-Schwimmer Michael Phelps besonderen Anteil daran. Bolt wiederholte als erster Sprinter der Geschichte seine Erfolge über 100 und 200 Meter von Peking. Phelps erhöhte seine Gesamtausbeute bei vier Olympiateilnahmen auf 22 Medaillen, davon 18 Goldene. Die Gastgeber fanden ihre Lieblinge vor allem im Radsport. So gewann Bradley Wiggins das Einzelzeitfahren auf der von Millionen Zuschauern gesäumten Straße, und im Hallenvelodrom erklang nach sieben von zehn Wettbewerben das "God save the Queen", die britische Hymne.

Das 383-köpfige deutsche Team belegte nach dem Schlusszeremoniell wieder den fünften Nationen-Rang. Dabei kahm es auf elf Titel, 19 zweite und 14 dritte Plätze. Die Amerikaner dominierten die Spiele mit 46 goldenen, 29 silbernen und 29 bronzenen Medaillen vor China (28/27/23), Rußland (24/26/32) und den sich außergewöhnlich stark präsentierenden Briten (29/17/19). Erfreulich aus deutscher Sicht, dass die Leichtathleten wieder besser abschnitten. Diesmal durften sich gleich acht Aktive aus ihren Reihen über Edelmetall freuen. Herausragend dabei Diskuswerfer Robert Harting aus Berlin, der im fünften Versuch die Siegerweite von 68,27 Metern erzielte. Gleich zwei junge Damen mussten hingegen nach merkwürdigen Kampfrichter-Fehlern um ihre Medaillen bangen. Lilly Schwartzkopf sollte in der letzten Disziplin des Siebenkampfes, dem Lauf über 800 Meter, die Bahn verlassen haben und wurde zunächst disqualifiziert. Nach der Videoanalyse stellte sich aber heraus, dass es eine andere Läuferin war, die diesen Fehltritt machte. Schwartzkopf wurde rehabilitiert und erhielt das verdiente Silber. Ähnlich erging es Hammerwerferin Betty Heidler. Bei ihr mass die Technik rund drei Meter zu wenig, was nach ihrem Einspruch zunächst mit einem Ersatzversuch korrigiert werden sollte. Der misslang der Frankfurterin, jedoch wurde die Fehlmessung zurück genommen und Heidler bekam am Ende doch ihre Bronzemedaille.

Potsdamer Vereine waren in London 14-fach vertreten und natürlich am deutschen Medaillen-Segen beteiligt. Dabei überraschte vor allem Sebastian Brendel vom Kanu-Club. Endlich durfte der 24-Jährige Schwarz-Rot-Gold in der traditionell erfolgreichen Canadier-Bootsklasse vertreten, nachdem er in Peking noch vom Ufer aus zugesehen hatte. Und es gelang dem aus Schwedt stammenden Schüler von Canadier-Trainer Ralf Welke über die 1000 Meter mit einer beeindruckenden Sieg-Fuhre. Welkes Potsdamer Jungs schlugen auf dem Dorney Lake gleich noch einmal zu. Peter Kretschmer und Kurt Kuschela, gerade 20 und 23 Jahre jung, zogen ihre wacklige "Nussschale" mit ihren Stechpaddel im Duett synchron und kräftig über die einen Kilometer lange Wasserpiste zum Triumph. Für das dritte Gold der Kanuten vom Templiner See sorgte schließlich Franziska Weber. Mit ihrer Leipziger Partnerin Tina Dietze fuhr sie im Kajak-Zweier vor allen anderen Mitbewerbern über den Zielstrich. Doch damit ließen es die Potsdamer Kanuten nicht bewenden. Weber und ihr Vorbild, Vereinsgefährtin Katrin Wagner-Augustin, verdienten sich noch im Viererkajak die Silber-Plakette.

Potsdamer Olympiateilnehmer 2012 in London:

Leichtathletik:

  • Melanie Seeger - 20 Kilometer Gehen: Platz 19
  • Christopher Linke - 50 Kilometer Gehen: Platz 23

Kanurennsport:

  • Ronald Rauhe - Einer-Kajak, 200 Meter: Platz 8; Zweier-Kajak, 200 Meter: Platz 8
  • Tim Wieskötter - Vierer-Kajak, 1000 Meter: Platz 4
  • Sebastian Brendel - Einer-Canadier, 200 Meter: Platz 16; Einer-Canadier, 1000 Meter: Gold
  • Peter Kretschmer - Zweier-Canadier, 1000 Meter: Gold
  • Kurt Kuschela - Zweier-Kanadier, 1000 Meter: Gold
  • Katrin Wagner-Augustin - Einer-Kajak, 500 Meter: Platz 9; Vierer-Kajak, 500 Meter: Silber
  • Franziska Weber - Zweier-Kajak, 500 Meter: Gold; Vierer-Kajak, 500 Meter: Silber

Rudern:

  • Stefanie Schiller - Doppelzweier: Platz 9
  • Daniela Schultze - Achter: Platz 7

Schwimmen:

  • Yannik Lebherz - 200 Meter Rücken: Platz 15; 400 Meter Lagen: Platz 11

Moderner Fünfkampf:

  • Stefan Köllner - Einzel Herren: Platz 26

Weitere Olympiateilnehmer mit einem Bezug zu Potsdam:

Leichtathlketik:

  • Rico Freimuth - Zehnkampf: Platz 6 (Rico Freimuth ist in Potsdam als Sohn des Ex-Zehnkampf-DDR-Rekordhalters Uwe Freimuth geboren, startet aber für den SC Halle)
  • Antje Möldner - 3000 Meter Hindernis: Platz 7 (die Ex-Potsdamerin startet für den SC Cottbus)
  • Sabine Zimmer-Krantz - 20 Kilometer Gehen: ausgeschieden (die gebürtige Potsdamerin startet für den TV Wattenscheid)

Schwimmen:

  • Benjamin Starke - 100 Meter Schmetterling: Platz 14; 4mal 100 Meter Freistil: Platz 6 (Benjamin Starke ist eigentlich Cottbuser, trainierte jahrelang in Potsdam, startet nun für Berlin-Neukölln)
  • Britta Steffen - 50 Meter Freistil: Platz 4; 100 Meter Freistil: Platz 12; 4mal 100 Meter Freistil: Platz 9; 4mal 100 Meter Lagen: Platz 9 (geboren in Schwedt, trainierte Britta Steffen jahrelang in Potsdam, startet nun für Berlin-Neukölln)

Beachvolleyball:

  • Jonathan Erdmann - Herren: Platz 9 (Jonathan Erdmann wurde in Potsdam geboren, startet für den VC Olympia Berlin)

Quelle: www.sports-reference.com; "Märkische Allgemeine Zeitung"