Toleranz, Werner Stötzer, 1994

Marmor, Große Figur: H 300 cm, B 80 cm, T 80 cm; Kleine Figur: H 200 cm, B 160 cm, T 80 cm

Werner Stötzer (*1931-2010) schuf 1992 ein Skulpturenpaar, welches vielfältige Gegensätze in sich vereint. Auf den ersten Blick wirft das rückwärtige Beieinander von Torso und Figur Fragen auf, gefolgt von deren unterschiedlicher Bearbeitung. Nicht das bloße Abschlagen bis zur Formfindung, sondern das Aufspüren der charakteristischen Urform des Steines scheint hier von Bedeutung.

Sogleich erkennt der aufmerksame Betrachter das Widersprüchliche zwischen Bildtitel und Ausrichtung der Skulpturen: Die Figuren stehen voneinander abgewandt. Der Torso mit den
angezogenen Beinen zeigt torsotypisch Schultern mit Ansätzen von Armen und der reduziert ausgearbeiteten Brust. Die Rückenpartie erfährt eine starke Wölbung entlang der s-förmigen Wirbelsäule vom Nacken bis zum Gesäßansatz. Während die zurückgenommenen aber erkennbar ausladenden Formen des Torsos auf eine am Boden sitzende Frauenfigur hinweisen, zeigt sich die stehende Figur eindeutig männlicher Natur. Mit seinem regelrecht wie gemeißelt wirkenden, starr nach vorn gerichteten Blick des kantigen Gesichtes entfernt er sich mit massivem Schritt von der Frau. Der Mann wendet sich nicht nur ab, er fühlt sich überlegen und dies offenbart sich besonders in seinem erhobenen linken Arm und der auf die Schulter abgelegten Hand. Die eindrucksvolle Geste erinnert an die Siegerpose von Michelangelos David. Aber auch der vollendete Körper des schreitenden Mannes offenbart Überlegenheit gegenüber der am Boden verharrenden unvollendeten Frau.

Werner Stötzer geht hierbei über zwei der grundsätzlichen Positionen der Bildhauerei, stehen und sitzen, hinaus, er will dem Betrachter die scheinbare Unvereinbarkeit von Mann und Frau vor Augen führen. Das Nonfinito sowie die reduzierten Formen verdeutlichen seine Idee der Befreiung der Skulptur aus dem Stein. Eine Form, die weniger Antworten vorgibt, um mehr Spielraum für eigene Gedanken und Entdeckungen zu eröffnen. Die künstlerische Aussage offenbart sich somit nicht wie gewohnt in der realen Nachbildung, sondern aus dem Inhalt heraus sowie dem Umgang des Bildhauers mit dem Material. Das Unfertige ist ein Angebot an die Augen und das Tastvermögen der Hände, den Stein in seiner Form sinnlich zu erleben. Glaubt also der Betrachter anfangs noch unvereinbare Gegensätze vorzufinden, wird er bei längerer Betrachtung den vermittelnden Anspruch des Titels erkennen: Toleranz.

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Toleranz
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14467 Potsdam
Deutschland