Rede des Oberbürgermeisters auf der Kundgebung von Potsdam! bekennt Farbe am 2. Februar 2025 auf dem Alten Markt

Demo Potsdam! bekennt Farbe auf dem Alten Markt
© LHP / Robert Schnabel

Liebe Bürgerinnen und Bürger,
ich danke Ihnen, dass Sie so zahlreich und so kurzfristig unserem Aufruf gefolgt sind, an diesem Tag Farbe zu bekennen. Denn diese Woche war eine Zäsur. Eine Woche, in der rote Linien überschritten wurden, nicht zufällig, nicht aus Versehen, sondern bewusst. 

Sie alle haben sich heute entschieden, nicht in Passivität zu verharren. Sie sind alle hier, weil Sie spüren, was auf dem Spiel steht. Weil Sie wissen: Diese Abstimmungen waren ein Warnsignal, aber sie sind kein Schicksal! Wir haben die Verantwortung, klar zu sagen: Keine Normalisierung der extremen Rechten. Kein stilles Hinnehmen von Bündnissen! Nicht für ein einziges Thema, nicht für eine Abstimmung, denn nicht zusammenarbeiten mit der extremen Rechten heißt für uns, nie zusammenarbeiten mit der extremen Rechten. Doch wenn die Brandmauer zu rechtsextremen und verfassungsfeindlichen Parteien zerbröselt, wenn auch demokratische Parteien beginnen, mit jenen gemeinsame Sache zu machen, die unsere freiheitliche Ordnung zerstören wollen, dann braucht es ein Gegengewicht in der Gesellschaft, damit wir nicht nach rechts rutschen.

Ich stehe heute hier vor Ihnen stellvertretend als Vorsitzender des Bündnis Potsdam! bekennt Farbe für 73 Organisationen unserer Stadtgesellschaft, die sich gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit stark macht.

Ich stehe hier auch als einer der Vertreter der Städte sicherer Häfen, einem Bündnis von 130 Städten, dem unsere Stadt angehört und das Geflüchteten in ihren Städten eine sichere Heimat geben will.

Und ich stehe hier als Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Potsdam, die sich mit dem Neuen Potsdamer Toleranzedikt verpflichtet hat, die Vielfalt von Kulturen, Religionen und Lebensweisen anzuerkennen.

Ich stehe hier persönlich als Mensch und Bürger, weil ich weiß, dass es in solchen Momenten wie diesem jetzt, keine Grauzone gibt. Man muss wissen, auf welcher Seite man steht.


Liebe Bürgerinnen und Bürger,
in dieser Woche ist etwas passiert, das viele von uns noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten haben. Ein Tabubruch, ein Bruch mit dem, was wir als demokratische Brandmauer kannten. Doch dieser Tabubruch kam nicht von einem Tag auf den anderen. Er passierte seit längerem Schritt für Schritt.

Schauen wir nur in das letzten Jahr: Erst war es eine Konferenz im Haus Adlon, dann eine gemeinsame Abstimmung bei vermeintlich unpolitischen Themen in den Kommunen, in dieser Woche eine gemeinsame Abstimmung im Bundestag und keiner gibt uns die Garantie das es dabei bleibt.

Was kommt Morgen? 

Wir ahnen und haben ein ungutes Gefühl, was diese Verschiebung der Machtoptionen noch bedeuten kann. Es geht längst nicht nur um eine einzelne Abstimmung. Es geht nicht nur um ein Gesetz. Es geht um Dehnungsübungen für eine neue Normalität. Eine Normalität, in der es die Bereitschaft gibt, mit jenen zu arbeiten, die unsere freiheitliche Ordnung offen infrage stellen und dies dann damit zu begründen, dass es doch nur um den Inhalt geht. Eine Normalität die wir hier nicht wollen.


Liebe Potsdamerinnen und Potsdamer,
in den letzten Tagen haben wir öfter gehört: „Man kann doch nicht von einem Inhalt abrücken den man für richtig hält, nur weil die Falschen ihn mittragen.“ Ganz ehrlich: wer meint, mit der extremen Rechten gemeinsame Inhalte zu haben, der sollte lieber seine Inhalte kritisch prüfen, als sich mit dieser Gemeinsamkeit und seiner scheinbaren Prinzipientreue auch noch zu brüsten.

Wir sagen heute und hier: Diese Form der Normalität darf es nicht geben und wir werden dafür eintreten, dass es diese Normalität nicht gibt. 

Wir stehen hier, weil wir uns erinnern. Weil wir wissen, wohin es führt, wenn die demokratische Mitte nur passiv ist oder nach rechts kippt. Weil wir gelernt haben, dass die Demokratie nicht von ihren entschiedenen Feinden zerstört wird, sondern von jenen, die sie aus Bequemlichkeit oder aus Machtkalkül opfern. Deshalb war es in dieser Woche nicht nur eine Abstimmung, sondern es war eine Entscheidung über Werte.

Es ist gut, dass ein Gesetz, das Zustrombegrenzungsgesetz genannt wird, abgelehnt ist. Zustrombegrenzungsgesetz - Was für ein zutiefst zynischer Titel für ein Gesetz. Dieses Gesetz hätte in Wirklichkeit nur eine Botschaft gesendet: Dass Menschenrechte verhandelbar sind. Dass wir als Gesellschaft entscheiden können, wen wir noch als Menschen behandeln und wen nicht. Und deswegen ist es gut, dass dieses Gesetz gescheitert ist. Denn man kann, nein man darf keine Mehrheiten erpressen, auch nicht, wenn man sie als Reaktion auf die grausamen Taten der letzten Wochen deklariert. Solche Versuche spalten unsere Gesellschaft. Und das dürfen wir nicht zulassen.

Auch bei uns sind die Gedanken bei den Opfern von Magdeburg und Aschaffenburg. Und wir haben auch Solingen nicht vergessen. Die grausamen Taten, die dort geschehen sind, die Opfer mit unterschiedlicher Herkunft, erschüttern uns alle zutiefst und sind durch nichts zu rechtfertigen. Herkunft, Herkunft ist bei Opfern genauso irrelevant wie die Herkunft bei Tätern nicht relevant sein sollte. Wer in Deutschland einen Mord begeht, der gehört bestraft und es darf für Täter kein Relativieren geben. Nichts kann das Leid der Opfer und ihrer Familien lindern, und wir stehen als Gesellschaft zusammen, um ihnen unser Mitgefühl und unsere Solidarität auszudrücken.

Doch ebenso klar muss sein: So schrecklich diese Taten sind, sie dürfen nicht als Begründung für Verurteilungen ganzer Menschengruppen dienen. Wer Verbrechen instrumentalisiert, um Hass und Misstrauen zu säen, handelt nicht aus Sorge um die Sicherheit, sondern mit der Absicht, unsere Gesellschaft zu spalten. Wir müssen konsequent gegen jede Form von Gewalt vorgehen, aber wir dürfen niemals zulassen, dass Hass die Antwort auf Hass wird. 

Und wir dürfen nicht mehr nachlassen. Denn es droht sich etwas immer weiter zu verschieben. Schauen wir nur auf das Jahr 2024! Wir erinnern uns an die Demonstration vor einem Jahr im Januar. Damals, am Alten Markt, versammelten sich Tausende von uns, um ein Zeichen zu setzen: Gegen Hass, gegen Hetze, für eine Gesellschaft der Vielfalt und des Respekts. Wir haben gezeigt, dass Potsdam für Offenheit und Toleranz steht und dass wir bereit sind, diese Werte zu verteidigen. 

Heute, ein Jahr später, stehen wir erneut hier. Und wir müssen ehrlich sagen: Es hat sich etwas verschoben in unserem Land, das zeigen die Wahlen im Jahr 2024. Das zeigen die Abstimmungen in Stadtverordnetenversammlungen, Landtagen und jetzt im Deutschen Bundestag.

Vielleicht sind wir nicht mehr überall mehr als die, die nicht an Menschlichkeit und Gerechtigkeit glauben. Vielleicht sind wir nur die, die sich weigern, die Würde anderer Menschen in Frage zu stellen. Vielleicht fressen sich in Zeiten der Rezession und der wirtschaftlichen Sorgen einfache rechte Botschaften deutlicher in die Mitte der Gesellschaft vor. Aber wenn das so ist, dann müssen wir, die wir ein friedliches und solidarisches Miteinander in der Gesellschaft wollen, umso lauter sein.

Denn wenn wir verstummen, wenn wir uns anpassen, wenn wir sagen, es sei doch nicht mehr zu ändern, dann werden wir genau das verlieren, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Die Geschichte lehrt uns, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist. Dass wir uns ihr immer wieder neu verpflichten müssen. Deshalb sind wir heute hier. Weil wir uns weigern, zuzusehen, wie eine Partei, die unsere Verfassung angreift, zur normalen politischen Partnerin wird. Weil wir uns weigern, den ersten Schritt in eine Zukunft zu akzeptieren, in der Menschen nicht mehr nach ihrem Charakter und ihren Positionen, sondern nach ihrer Herkunft bewertet werden. Weil wir uns weigern, Menschen die unseren Schutz brauchen, diesen zu verweigern.

Potsdam hat sich durch Beschluss der Stadtverordneten dazu verpflichtet, Menschen, die zu uns flüchten, einen sicheren Hafen zu bieten. Das ist in den letzten Jahren schwerer geworden, denn die Städte werden mit den finanziellen Herausforderungen der Integration weitestgehend allein gelassen. Den Bundestagsabgeordneten, die für dieses Gesetz stimmen wollten, kann ich nur sagen: Gebt das Geld, was ihr für Abschreckung und Abschottung ausgeben wollt, lieber den Kommunen für ein mehr an Integrationsarbeit. Gebt das Geld für neue Grenzbeamte den Kommunen, damit sie Verwaltungspersonal einstellen können, um die Verfahren zu beschleunigen, damit Integration, Arbeitsaufnahme und Einbürgerung funktionieren. Wir brauchen keine neuen Gesetze im Bund zur Abschottung oder Beschlüsse zur Arbeitspflicht in den Kommunen, die mit der extremen Rechten beschlossen werden. Wir brauchen Integration die funktioniert. Das ist die beste Brandmauer gegen Hass und Hetze.


Liebe Potsdamerinnen und Potsdamer,
Menschen die in den letzten Jahren zu uns geflüchtet sind, sich hier integrieren, haben aktuell Angst. Angst über den sprichwörtlichen Kamm geschert zu werden mit denen, die Verbrechen begehen, nur weil sie aus demselben Land stammen oder denselben Glauben haben.

Ihnen sagen wir: Wir können unterscheiden. Herkunft und Glaube allein sagen nichts über den Menschen aus. Wir stehen zu den im Grundgesetz verankerten Grundrechten. Wir verweigern uns der Zusammenarbeit mit der extremen Rechten, die diese Grundrechte schleifen will und verteidigen die Brandmauer. Und wir sind nicht allein: Viele Bürgerinnen und Bürger anderer Städte teilen dieses Engagement.

Überall in Deutschland sind tausende Menschen derzeit auf der Strasse und sie haben eine klare Botschaft: Wir lassen nicht zu, dass Deutschland nach rechts nicht mehr ganz dicht ist.


Liebe Bürgerinnen und Bürger,
es gibt Momente, in denen eine Gesellschaft entscheiden muss, wer sie ist. Die aktuelle Zeit ist ein solcher Moment. Und wir sagen heute gemeinsam: Nicht mit uns. Wir sind heute hier, weil wir wollen, dass die Mitte der Gesellschaft sich weiter klar von rechtsextremen Parteien abgrenzt.

Und deswegen noch einmal ganz klar: Potsdam ist kein Platz für Hass und Hetze. Potsdam steht für Toleranz, Offenheit und Humanität. In Potsdam werden wir die Brandmauer verteidigen.

Ich danke Ihnen, dass Sie heute gekommen sind und sich stark machen für Demokratie, Weltoffenheit und Vielfalt!

Vielen Dank.

Mike Schubert
Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Potsdam
02.02.2025