Der Würzburger Rechtsanwalt Chan-jo Jun hat am Mittwoch den Max-Dortu-Preis für Zivilcourage und gelebte Demokratie erhalten. Oberbürgermeister Mike Schubert und die Bundestagsabgeordnete Renate Künast haben Chan-jo Jun den Preis am Abend auf einer Festveranstaltung im Potsdam Museum für seine engagierte Arbeit gegen Hate speech in sozialen Netzwerken überreicht. „Mit ihrer Arbeit leisten Sie einen wichtigen Beitrag für die sachliche demokratische Auseinandersetzung. Mit der Verleihung wird der Blick auf ein tiefgreifendes gesellschaftliches Problem gelenkt, dem sich abertausende Menschen ausgesetzt, ja ausgeliefert sehen: der Ohnmacht des Netzes, in dem oftmals eine willkürliche Verbreitung von Hass und Hetze herrscht, die es mit rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen gilt“, sagte Mike Schubert.
Die mehrköpfige Preisjury hat den Preisträger aus eingegangenen Nominierungen ermittelt und vorgeschlagen. Chan-jo Jun, Sohn koreanischer Eltern und 1974 in Deutschland geboren, leitet eine Anwaltskanzlei in Würzburg und engagiert sich seit vielen Jahren gegen die Verbreitung von Hasskommentaren und Hasshetze in den sozialen Netzwerken.
2017 gelang es Jun, Facebook zum ersten Mal vor ein deutsches Gericht zu bringen, als er Anas Modamani rechtlich vertrat. Der syrische Flüchtling, bekanntgeworden mit einem Selfie mit Angela Merkel, sah sich einer Flut verleumderischer Behauptungen im Netz ausgesetzt. Facebook sollte mit rechtlichen Mitteln dazu verpflichtet werden, falsche Behauptungen und Hasskommentare zu löschen. Als juristische Vertretung der Grünen-Politikerin Renate Künast, die jahrelang ehrverletzenden Falschmeldungen im Netz ausgesetzt war, erreichte Jun 2022 ein wegweisendes Urteil für den Schutz der Nutzenden in den sozialen Netzwerken.
Mit der Preisverleihung setzt die Landeshauptstadt Potsdam ein klares Statement gegen die Hasskriminalität in den sozialen Netzwerken. „Als politische Person habe ich selbst schon vielfach miterlebt, wie im Netz nicht miteinander, sondern nur übereinander geredet und welcher Irrsinn verbreitet wird. Sehr viele Menschen nehmen die sozialen Plattformen als riesige, unangreifbare Organisationen wahr. Es bedarf Entschlossenheit, Zivilcourage, Ausdauer und Mut, zu beweisen und klarzustellen, dass derartige Räume nicht rechtsfrei sind und es auch nicht sein dürfen“, so Schubert. Der Preisträger Chan-jo Jun zeigt, wie das gelingt, nämlich in erster Hinsicht mit rechtlichen Mitteln.
Der Potsdamer Musiker Christian Näthe mit seiner Band Hasenscheisse wird die Veranstaltung musikalisch ausgestalten.
Der Max-Dortu-Preis ist dem Potsdamer Freiheitskämpfer der 1848er-Revolution Max Dortu verpflichtet und würdigt Akteure, die sich für die Freiheit des Einzelnen und für eine demokratisch verfasste Gesellschaft engagieren und dabei auch mutige, unkonventionelle Wege gehen. Erster Preisträger ist Hans-Christian Ströbele, der 2017 in Potsdam geehrt wurde und am 29. August 2022 verstorben ist. Im Jahr 2019 wurde der Max-Dortu-Preis an die IUVENTA – Solidarity at Sea verliehen. Der Preis ist mit 5000 Euro dotiert.
Die Rede von Mike Schubert im Wortlaut:
Sehr geehrter, lieber Herr Jun,
sehr geehrte Frau Künast,
sehr geehrte Jurymitglieder,
sehr geehrte Stadtverordnete,
meine Damen und Herren,
ich freue mich sehr, Sie heute zur dritten Verleihung des Max-Dortu-Preises für Zivilcourage und gelebte Demokratie begrüßen zu dürfen.
Ein Dank auch natürlich an Christian Näthe und Band, die den Sound der Revolution schon musikalisch gesetzt haben. Ich bin gespannt, was folgen wird.
„Alle Autoritäten in Frage zu stellen und alles Gewohnte zu hinterfragen“ das war ein Credo des ersten Preisträgers Hans Christian Ströbele, der mit dem Preis 2017 ausgezeichnet wurde. In seiner Dankesrede bei der Preisverleihung sagte er über sich:
„Ich bin ja kein Revolutionär, der zur Waffe greift, sondern ich bin ein Mann, der mit Worten versucht hat, etwas zu verändern und zu erreichen. Und das ist noch nicht erledigt.“
Hans-Christian Ströbele ist am 29. August verstorben. Auch und gerade mit Worten hat er vieles erreicht und wird uns als streitbarer Politiker in Erinnerung bleiben.
Meine Damen und Herren,
ich bitte Sie, einen Moment mit mir Inne zu halten, um ihm zu Gedenken.
In diesem Jahr geht der mit 5.000 Euro dotierte Preis an Herrn Chan-jo Jun aus Würzburg. Seien Sie herzlich in Potsdam willkommen. Es ist uns eine große Ehre, dass Sie den Preis heute entgegennehmen, und wir sind gespannt, was Sie zu uns sagen werden und freuen uns auf die Laudatio von Renate Künast.
Max Dortu – wer war dieser Mann, nach dem der Preis, den wir heute vergeben, benannt ist?
Geboren am 29. Juni 1826 in Potsdam, wuchs er in einer Familie auf, die hugenottischen Ursprungs war. Der Vater Jurist und liberaler Stadtverordneter. Max folgte seinem Vater und studierte ebenfalls Rechtswissenschaften. Ihm stand ein bürgerliches Leben offen, ja, wenn er nicht in einer Zeit und in einem geistigen Umfeld groß geworden wäre, dass nach radikalen gesellschaftlichen und politischen Veränderungen verlangte.
Dortu duckte sich 1848 vor den Umwälzungen nicht weg, sondern ging - buchstäblich - auf die Barrikaden, kämpfte für Freiheit und demokratische Grundrechte, stand im Jahr darauf in Baden preußischen Truppen gegenüber, die die Revolution mit Gewalt zu unterbinden versuchten. Er wurde von den königstreuen Truppen festgesetzt und anschließend zum Tode verurteilt. Am 31. Juli 1849 wurde er standrechtlich erschossen und auf einem Friedhof bei Freiburg begraben, wo heute noch sein Grab zu finden ist. Er starb mit 23 Jahren.
Wie könnte man nun Max Dortu charakterisieren?
Heute wäre Max Dortu wohl ein Social-Media-Profi. Auf Facebook, Instagram, Twitter und auf weiteren Plattformen wäre er sicherlich als gut 20-Jähriger aktiv. Dort würde er die Missstände der Zeit anprangern und sich gegen den Krieg in der Ukraine und für Fridays-for-Future einsetzen. Luisa Neubauer und Greta Thunberg würde er wahrscheinlich auf Instagram folgen und umgekehrt.
Im Netz würde er wahrscheinlich subversive Aktionen planen und sich zu Posts auf Facebook hinreißen lassen, die ziemlichen Wirbel verursachen würden. So wie Max Dortu 1848, als er den Prinzen von Preußen, den späteren König und Kaiser Wilhelm I., als „Kartätschenprinzen“ bezeichnete, eine Beleidigung in Anspielung an die Geschütze, mit denen die Revolutionäre niedergeschossen und der Aufstand niedergeschlagen werden sollte.
Sie sehen: er war ein junger Mann, der sehr entschlossen auf gesellschaftliche Veränderungen drängte und dafür auch das Mittel der Radikalisierung wählte.
Seine Art der Kommunikation ging,
so könnte man wieder in die heutige Zeit übersetzt sagen,
viral.
Wenn man sich anschaut, was und in welcher Art Max Dortu „gepostet“ hat, wozu er aufrief, wie er sich auch radikalisierte, dann möchte man noch heute diesem jungen, energischen Mann zurufen:
Du brauchst einen Profi für Recht und Medien, der dich berät, damit du deine Ziele auch mit rechtsstaatlichen Mitteln erreichst. Du brauchst so jemanden wie Chan-jo Jun.
Darin, meine Damen und Herren, sehe ich die Überzeitlichkeit!
Damals wie heute ging und geht es um die Frage, wie gesellschaftliche und strukturelle Veränderungen erreicht werden können. Ein ganz wesentliches Mittel dafür ist der Weg innerhalb! der Rechtsstaatlichkeit.
Ich bin der Jury des Max-Dortu-Preises deshalb überaus dankbar, dass sie aus den Nominierungen Herrn Chan-jo Jun vorgeschlagen hat. Damit wird der Blick auf ein tiefgreifendes gesellschaftliches Problem gelenkt, dem sich abertausende Menschen ausgesetzt, ja ausgeliefert sehen:
Nämlich der Ohnmacht des Netzes,
in dem oftmals eine willkürliche Verbreitung von Hass und Hetze herrscht, die es mit rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen gilt.
Als politische Person habe ich selbst schon vielfach miterlebt, wie im Netz nicht miteinander, sondern nur übereinander geredet und welcher Irrsinn verbreitet wird.
Sehr viele Menschen nehmen die sozialen Plattformen als riesige, unangreifbare Organisationen wahr. Es bedarf Entschlossenheit, Zivilcourage, Ausdauer und Mut, zu beweisen und klarzustellen, dass derartige Räume nicht rechtsfrei sind und es auch nicht sein dürfen.
Dafür gilt Ihnen, lieber Herr Jun, unsere große Anerkennung und unser Dank.