Kolumne der Woche: Der Toleranz verpflichtet

Oberbürgermeister Jann Jakobs
© Oberbürgermeister Jann Jakobs
Oberbürgermeister Jann Jakobs

7. Oktober 2018

Liebe Potsdamerinnen und Potsdamer,

vor fast genau 333 Jahren – am 29. Oktober 1685 – erließ Kurfürst Friedrich Wilhelm von Preußen im Stadtschloss das Edikt von Potsdam. Es ging als „Toleranzedikt“ in die Geschichte unseres Landes ein. Für unsere Stadt bedeutet diese Erklärung eine Wegmarke der Demokratiegeschichte. Das ist Anlass für uns, dieses Ereignis am kommenden Dienstag mit einer Veranstaltung zu ehren.

Unmittelbarer Grund für das Edikt war damals die Aufkündigung des Ediktes von Nantes durch den französischen König Ludwig XIV am 18. Oktober 1685. Besagtes Edikt, das aus dem Jahr 1598 stammt, hatte den evangelisch-reformierten Hugenotten im katholischen Frankreich Religionsfreiheit und volle Bürgerrechte zugesichert. Nach der Aufkündigung des Ediktes von Nantes wurden die Hugenotten – ihrer Religionsfreiheit und ihrer Bürgerrechte beraubt – grausam verfolgt. Hunderttausende flohen aus Frankreich und fanden in calvinistischen Gebieten in den Niederlanden, der Schweiz und Preußens eine neue Heimat.

Davon zeugen noch heute die Französische Kirche, die der Enkel des Großen Kurfürsten, Friedrich II. aus seiner Privatschatulle finanzierte, die Existenz der Französisch Reformierten Gemeinde und so mancher Familienname, der hugenottischen Ursprungs ist. Was haben wir aber heute mit dieser alten Geschichte zu tun? Sehr viel, denn in Potsdam sind wir der Tradition der Toleranz verpflichtet - dies ist meine kurze Antwort. Die ausführliche Antwort lohnt einen genauen Blick in die Geschichtsbücher, denn das Öffnen Brandenburgs für Flüchtlinge geschah 1685 nicht allein aus philanthropischen Erwägungen.

Preußens Herrscher ermöglichte den Flüchtlingen Zugang zu allen preußischen Gebieten, er gewährte ihnen Privilegien, ermöglichte die freie Wahl ihres Aufenthaltsortes und setzte ausdrücklich darauf, dass die „Migranten“ ihre Fähigkeiten als Handwerker, Bauern, Juristen zum Wohle des Landes Preußen einsetzten.

Und damit sind wir mitten in der Gegenwart: Deutschland gewährt verfolgten Menschen Zuflucht – aus humanitären Gründen. Wir erweisen uns tolerant gegenüber den Weltanschauungen und Religionen, die diese Menschen mitbringen. Das mindestens ist im Grundgesetz geregelt. Wir wissen, dass die Wirklichkeit anders aussieht und damit meine ich nicht nur die großen Schlagzeilen, sondern auch den Alltagsrassismus. Das tut unserem Land nicht gut, auch weil wir die Fähigkeiten von Geflüchteten gut nutzen könnten.

Die Potsdamer Stadtgesellschaft hat sich im Oktober 2008 ein neues Toleranzedikt gegeben. Zuwanderung wird dort als Chance und Toleranz als Entwicklungsstrategie definiert. Wir wünschen uns eine weltoffene und tolerante Stadt. Aber es ist nicht damit getan, ein neues Edikt aufzuschreiben. Es muss mit Leben gefüllt werden – immer wieder neu. Das ist mitunter eine anstrengende Herausforderung, die sich aber lohnt. Dafür steht das Bündnis "Potsdam! bekennt Farbe", in dem auch der Verein Neues Potsdamer Toleranzedikt seit seiner Gründung ein engagiertes Mitglied ist. Nicht umsonst können Organisationen, die Begriffe wie „Zukunft“ und „Heimat“ missbrauchen, die die Werte unserer freien und demokratischen Gesellschaft offensiv in Frage stellen, in unserer Stadt keinen Boden gut machen. Das darf man feiern ohne überheblich zu sein.

Ich denke, das 10-jährige Jubiläum des neuen Potsdamer Toleranzediktes, der 333. Geburtstag des Ediktes von Potsdam und unser 1025-jähriger Stadtgeburtstag sind Anlässe genug. Ich lade Sie deshalb herzlich ein, am 9. Oktober in der Französischen Kirche mit uns die Tradition der Toleranz zu feiern.

Ihr

Jann Jakobs