Potsdamer Olympioniken, Teil 19
2020 (2021) Tokio
Text von Horst Sperfeld
Als die Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees im September 2013 die Spiele der XXXII. Olympiade an die japanische Hauptstadt Tokio vergab, sollte dem Land der aufgehenden Sonne mit Hilfe des größten Sportfestes der Welt ein wenig beim Heilen der Wunden geholfen werden. Fukushima, der Ortsname, der für immer mit einem Super-Gau in Zusammenhang mit der friedlichen Nutzung von Atom-Energie in Verbindung gebracht werden wird und so viel Kummer verbreitete, war als Symbol eines Neubeginns und der Solidarität der Völker gedacht. Doch machte ein kleiner Virus dem ganzen einen Strich durch die Rechnung, Corona ließ den für die Zeit vom 24. Juli bis 9. August 2020 geplanten Treff der Weltjugend platzen. Die Olympischen Spiele 2020 verschob man aufgrund der heftigen Verbreitung der Pandemie um ein Jahr, die Zeit blieb fast identisch (23.07. bis 08.08.), die Austragung war aus gehabtem Grunde erneut umstritten, die meisten Menschen aus dem Gastgeberland wollten nichts mehr davon wissen. Der unschöne Kompromiss: Sportler aus aller Welt durften kommen, die einheimischen Zuschauer blieben ausgesperrt.
Nur die größten Kritiker jedoch dürften dem durchgezogenen Spektakel im Nachhinein den Erfolg absprechen. Den Japanern gelangen Wettbewerbe mit Strahlkraft, den Japanern gelang die Vermittlung von olympischem Flair, die Japaner schenkten den Athleten dieser Welt trotz aller Einschränkungen und Hindernisse die Freude am Vergleich und am Zusammensein über alle Grenzen und politischen Konflikte hinweg und damit den Lohn für ihre nun fünfjährige harte und ebenfalls teilweise wegen der Pandemie erschwerte Vorbereitung. Und, ganz wichtig, der befürchtete große Corona-Anstieg zumindest unter den Sportlern blieb aus.
Politische Konflikte gab es neben der Corona-Pandemie in den Jahren zwischen den Spielen wie immer genug. Die Europäische Union driftet immer mehr auseinander. In den USA, die sich stets als das Zentrum der Werte auf dem Globus inszenieren und sich dabei selbst am nächsten sind, hatte man gerade einen Mann auf dem Präsidentenstuhl abgelöst, der mit seiner Macht wie ein Kind spielte. Als er endlich durch demokratische, aber doch etwas fragwürdige Wahlen vom Sockel geholt war, rief er zum Bürgerkrieg auf und wurde dafür nicht einmal zur Verantwortung gezogen. Immerhin musste er gehen, doch in seinem Abtrittsstaub ließ er so viele Konfliktherde zurück, die sich kurz nach den Olympischen Spielen im Desaster von Afghanistan kumulierten. Die Amerikaner und mit ihnen die gesamte westliche Welt ließ ein Volk, dem sie 20 Jahre Krieg beschert hatten, einfach allein und gab die Menschen zurück in die groben Hände der Taliban und damit ins muslimische Mittelalter. Das wichtigste Thema überhaupt war die Debatte ums Überleben der Menschheit. Es ging um die Folgen der längst begonnenen Umweltkatastrophe, den Klimawandel, den man in den USA lange einfach negierte und in anderen Industrienationen verniedlichte. Das warf die Welt bei der Umgestaltung der Gesellschaften und ihrer Industrien zu weniger Verschmutzung der Natur und zu weniger Ausbeutung fossiler Bodenschätze um womöglich entscheidende Jahre zurück.
Die Spiele fanden statt, das war bei allen Weltproblemen gut so. Und es gab wie immer besondere Helden. Einer hieß Ronald "Ronny" Rauhe und hat in Falkensee bei Potsdam sein Zuhause. Fünfmal erlebte er vor Tokio 2020 als Sportler bereits Olympia. Ob es ein sechstes Mal geben würde, stand nach der Verschiebung der Spiele für den nun bereits 39-jährigen Familienvater in den Sternen. Der Rennkanute schaffte es auch mit Unterstützung seiner Ehefrau Fanny Fischer, selbst Kajak-Olympiasiegerin, qualifizierte sich zum 6. Male für das Sportfest der Sportfeste und kehrte sogar vergoldet zurück. Im Kajak-Vierer der Männer über 500 Meter paddelte er zusammen mit seinem Potsdamer Clubgefährten Max Lemke, Max Rendschmitt (Essen) und Tom Liebscher (Dresden) zum umkämpften Sieg. Jacob Schopf mit Silber im K 2 sowie der vorige Dreifach-Olympiasieger Sebastian Brendel mit noch einmal Bronze im Canadier-Zweier sorgten zusammen mit Raue und Lemke dafür, dass der Kanu-Club Potsdam mit drei von insgesamt vier den größten Anteil an olympischen Medaillen für die 19-köpfige Olympiadelegation aus der Landeshauptstadt Brandenburgs eroberte.
Die vierte Medaille gewann Kristin Pudenz vom SC Potsdam. Die Diskuswerferin, die aus Herford in Nordrhein-Westfalen stammt und durch ihr Studium nach Potsdam kam, schaffte den Anspruch aller Sportler und Sportlerinnen, sie verbesserte genau zu ihrem Wettkampf-Höhepunkt ihre persönliche Bestleistung und belohnte sich dafür mit Silber. Die 28-Jährige ließ eine Potsdamer Tradition aufleben, denn von hier kamen bereits viele erfolgreiche Asse dieses Metiers. Mit Potsdam verbundene Namen wie Evelin Jahl, Diana Gansky, Gisela Beyer, Gabriele Hinzemann, Gabriele Reinsch, Hartmut Losch und andere schrieben in zurückliegenden Zeiten olympische Geschichte oder bestimmten das Weltniveau mit.
Auch der diesmal glücksstrahlende Ronald Rauhe reihte sich in eine Potsdamer Tradition ein. Der Senior-Kanute durfte bei der Abschlussveranstaltung in Tokio die deutsche Fahne ins Stadion tragen. Diese Ehre erhielten vor ihm schon die anderen Kanutinnen und Kanuten aus seiner Stadt: Birgit Fischer (1996), Katrin Wagner-Augustin (2008) und Sebastian Brendel (2016).
Das Land Brandenburg stellte insgesamt 23 Athleten für das 425 Sportler umfassende Team Deutschland. In der trockenen Erfolgsstatistik gehen die Leistungen großartiger Kämpfer unter, die nicht auf die Podeste der Medaillengewinner gelangten. Einer davon war Geher Christopher Linke aus Werder, der in einer Hitzeschlacht über 20 Kilometer nach einemfuriosen Endspurt wie fünf Jahre zuvor in Rio de Janeiro hervorragender Fünfter wurde, Chapeau! Im deutschen Team glänzten wieder die Reiter, die Bahnfahrer, sogar die Segler und die Slalom-Kanuten. Herausragend auch der Auftritt von Tennis-Profi Alexander Zverev, der sich in den Hitze-Duellen gegen große Namen des weißen Sports bis hin zum Weltranglistenersten Novak Djokovic aus Serbien durchsetzte und schließlich Gold gewann. Bemerkenswert auch, weil er den Stellenwert Olympias demonstrativ über alle anderen Wettbewerbe im Tennis stellte. Die Bilanzen anderer einst strahlender Verbände wie Rudern oder Leichtathletik, Schwimmen oder Turnen, Fußball oder Handball sahen diesmal eher mau aus. Dennoch erreichte Deutschland in der Nationenrangliste einen guten 9. Platz mit zehnmal Gold, elfmal Silber und 16 mal Bronze.
Einen Superstar wie davor Sprinter Usain Bolt brachten die Spiele diesmal nicht hervor. Dafür entdeckte man eine Form des Faulspiels, das nur als kriminell eingestuft werden kann. Es sei inzwischen möglich, dass Sportlern per Berührung ein Dopingmittel übertragen wird. Die laufen dann nichts ahnend zur Kontrolle, werden erwischt und gesperrt. Pervers! In positiver Erinnerung bleiben werden aber der Sprintsieg des Italieners Marcell Jacobs gegen die erfolgverwöhnten US-Amerikaner und Jamaikaner, der Weltrekord über 400 m Hürden des Norwegers Karsten Warholm und leider auch der Pferdeskandal einer deutschen Modernen Fünfkämpferin und der verbale Fauxpas eines deutschen Radsport-Betreuers. Aber es gab auch einen jungen Burschen aus Deutschland, der Freudentränen vergoss, nur weil er die Olympischen Spiele miterleben durfte, womit das eigentliche Motto mal wieder zum Vorschein kam.
Potsdamer Olympiateilnehmer 2020 (2021) in Tokio:
Leichtathletik:
- Christin Pudenz: Diskuswurf: Silber
- Jean-Paul Bredau: 4mal 400 m: 16. Platz
- Nils Brembach: 20 km Gehen: 28. Platz
- Christopher Linke: 20 km Gehen: 5. Platz
- Saskia Feige: 20 km Gehen: ausgesch.
- Clemens Prüfer: Diskuswurf: Platz 11
- Bernhard Seifert: Speerwurf: 16. Platz
- Hagen Pohle: Ersatz
Rudern:
- Hans Gruhne: Doppelvierer: 8. Platz
- Daniela Schultze: Doppelvierer: 5. Platz
Kanurennsport:
- Ronald Rauhe/Max Lemke: Vierer-Kajak: Gold
- Sebastian Brendel: Einer-Canadier 1000 m: 10. Platz
- Sebastian Brendel: Zweier-Canadier 1000 m: Bronze
- Jacob Schopf: Einer-Kajak 1000 m: 4. Platz
- Jacob Schopf: Zweier-Kajak 1000 m: Silber
Schwimmen:
- Christian Diener: 200 m Rücken: 19. Platz
- Eric Friese: 4mal 100 m Freistil: 16. Platz
Triathlon:
- Laura Lindemann: Einzel: 8. Platz
- Laura Lindemann: Mixed-Staffel: 6. Platz
Moderner Fünfkampf:
- Patrick Dogue: Einzel: 20. Platz
- Fabian Liebig: Einzel: 19. Platz