Geschichten über Potsdamer Olympioniken: Der Olympische Beginn

Wer war eigentlich Potsdamer-Athlet, wer darf dazu gezählt werden?

Text: Horst Sperfeld

Potsdamer Olympioniken, Folge 1

Geschichten über Potsdamer Olympioniken lassen sich seit mehr als einhundert Jahren erzählen. Halt! Schon bei dieser Aussage müssen wir zunächst über eine Definition nachdenken. Wer von den vielen Teilnehmern an Olympischen Spielen darf als Potsdamer angesehen werden? Oder wen können wir für so eine Ruhmes-Meile wie den Walk of Fame hier im Luftschiffhafen wenigstens vereinnahmen? Um dem Eingangssatz zur Wahrheit zu verhelfen, legen wir hier einfach fest, dass es zumindest eine Verbindung des Sportlers zu Potsdam oder einem Potsdamer Verein gegeben haben muss. Das vorausgesetzt, können wir noch einmal beginnen. Also:

Geschichten über Potsdamer Olympioniken lassen sich seit mehr als einhundert Jahren erzählen. Schon bei den zweiten Spielen der Neuzeit, 1900 in Paris, der Heimatstadt des Begründers der neuen olympischen Bewegung Pierre de Coubertin, kam ein Segler zu Siegerehren, der einen Bezug zu Potsdam hatte. Paul Wiesner steuerte auf der Seine bei Meulan, etwa 40 Kilometer vor den Toren der französischen Hauptstadt, seine Yacht "Aschenbrödel" in der zweiten Wettfahrt der Klasse ein bis zwei Tonnen zum Sieg. Wiesner, zu dessen Besatzung noch drei weitere Herren gehörten und dessen Erfolg sich in eine wirklich spannende Geschichte verpacken ließe, war in Paris als Mitglied des Berliner Yachtclubs aufs Wasser gegangen. Der Berliner Schuldirektor war nicht nur Mitglied in jenem ältesten Seglerverein Deutschlands, sondern bekleidete  zugleich beim gerade erst gebildeten Potsdamer Yachtclub die Position des stellvertretenden Vereinsvorsitzenden. Wiesner ist also so ein einstiger Sportler, den wir hier bestenfalls vereinnahmen könnten.

 1920 in Antwerpen eroberte dann eine Sportlerin zumindest mit Potsdamer Wurzeln eine olympische Goldmedaille. Antje Eilers hieß die junge Frau mit Mädchennamen. Doch als solche hätte sie damals nicht an den Spielen der VII. Olympiade teilnehmen dürfen. Sportler aus Deutschland, dem Land, das den gerade erst beendeten ersten Weltkrieg vom Zaun gebrochen hatte, waren schließlich nicht zugelassen. Aus der jungen Potsdamerin war allerdings mittlerweile Ludowika Antje Margareta Jakobsson geworden. Sie hatte 1907 den Finnen Walter Jakobsson geheiratet und bereits 1911, also drei Jahre vor Beginn jenes 17 Millionen Tote fordernden Weltbrandes, die finnische Staatsbürgerschaft angenommen. Das Ehepaar Jakobsson überstrahlte am 27. April in einer der ersten Kunsteishallen der Welt den Eiskunstlaufwettbewerb und bekam dafür die Goldmedaille. 1924 kam das Paar - Ludowika war bereits 39 Jahre - noch einmal zu olympischem Silber.

In jenem Palace sur Glace von Antwerpen wurde 1920 mit dem Schweden Gillis Grafström noch ein weiterer Eiskunstlaufsieger geehrt, der später der Stadt Potsdam olympischen Glanz einbrachte. Der Sieger der Herren-Konkurrenz lebte ab 1925 in Potsdam und trainierte unter anderem auf dem zugefrorenen Bornstedter See. Grafström gilt mit drei Gold- sowie einer Silbermedaille zwischen 1920 und 1932 bis heute als erfolgreichster Eiskunstlauf-Solist bei Olympia. Nach ihm wurde in Potsdam eine kleine Straße benannt. Sein Grab auf dem Bornstedter Friedhof ist noch gut erhalten. Lange wurde es von einstigen Olympiakämpfern um Geher-Gold-Gewinner Peter Frenkel gepflegt.

 Ab 1924 bekamen die Wintersportler ihre eigenen Olympischen Spiele. Gillis Grafström beherrschte in Chamonix und 1928 in St. Moritz weiter die Herren-Konkurrenz. Auch 1932, als die Sommer und Winterspiele erstmals außerhalb Europas, nämlich in Los Angeles und Lake Placid, ausgetragen wurden, war er der dominierende Läufer. Seinen vierten Sieg bei seinen vierten Olympischen Spielen verhinderte lediglich eine Kollision mit einem damals noch auf der natürlichen Eisfläche platzierten Punktrichter bei der Pflicht. Dennoch, Grafström, der Wahl-Potsdamer aus Schweden, ist mit dreimal Gold und einmal Silber immer erlaufen für sein skandinavisches Heimatland bis heute der erfolgreichste Eiskunstläufer in der Historie Olympias.

Bei den Sommerspielen 1928 in Amsterdam erwies sich Freiherr Carl-Friedrich von Langen als bester Dressurreiter. Er gewann sowohl im Einzel als auch mit der deutschen Mannschaft. Der Freiherr von Langen, den später die Nationalsozialisten zu einem ihrer Helden erkoren und ein filmisches Propaganda-Denkmal setzten, war in jüngeren Jahren Mitglied des 1. Garde-Ulanen-Regiments, das stark mit Potsdam verbunden war. Zudem verstarb der Rittmeister nach einem Reitunfall bei einem Military-Wettbewerb in Döberitz in einem Potsdamer Krankenhaus. In Amsterdam ging außerdem Franz Wanderer vom VfL Potsdamer Sportfreunde im Marathon an den Start, erreichte aber nicht das Ziel. Schließlich gab es 1932 in Los Angeles noch einen Modernen Fünfkämpfer mit Namen Helmut Naudé. Er war Soldat im Infanterieregiment 9 in Potsdam und belegte bei den Spielen Platz 17. 

Auch bei den Spielen von Berlin 1936 startete ein prominenter Potsdamer Leichtathlet. Friedrich von Stülpnagel, dessen sportliche Vorliebe eigentlich dem Modernen Fünfkampf galt, hatte sich als guter Läufer für die Olympiastaffel über 4mal 400 Meter qualifiziert und war damit zu einer olympischen Bronzemedaille gekommen. Wie in einem Zeitungsbeitrag von Historiker Kurt Baller in der Märkischen Allgemeinen zu lesen war, startete von Stülpnagel als Militärangehöriger zwar für den MSV Wünsdorf, war jedoch in Potsdam aufgewachsen, zur Schule gegangen und als Berufssoldat auch hier stationiert. Er lebte nach dem Kriege in der Bundesrepublik, gehörte als  Offizier dem Bundesgrenzschutz an und verstarb erst 1996 in München.

All diese und noch tausende andere Details wüsste heute niemand mehr, hätte sie nicht der Berliner Olympia-Enthusiast Volker Kluge in fast lebenslanger akribischer Arbeit in mehreren Bänden zusammengefasst. Dem ehemaligen Sportjournalisten gebührt damit eigentlich ein Denkmal am Sitz des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Lausanne.

Für Potsdam waren also zwei "vereinnahmte" Eiskunstläufer sowie Athleten von einst eher elitären Sportarten die Vorreiter für viele spätere olympische Medaillengewinner aus unserer Stadt. Ob wir hier alle einstigen Potsdamer Olympioniken aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erwähnt haben, ist nicht sicher. Die Zeit der Nachfolger, die mit diesem Walk of Fame hier im Luftschiffhafen gewürdigt werden sollen, begann mit den Spielen 1956 im fernen Melbourne. Eiskunstläufer finden sich bisher nicht mehr darunter.