Text: Horst Sperfeld
Geschichten über Potsdamer Olympioniken: Der Beyer-Clan
Potsdamer Olympioniken, Teil 8
Moskau 1980
Moskau 1980, das waren schon eigenartige Spiele. Es wurde die große Völkerfreundschaft vorgegaukelt, während die Welt in Wahrheit so zerstritten war wie lange nicht. Vielleicht blieb Olympia im Lande Lenins gerade deshalb so nachhaltig in Erinnerung. Die große Politik nutzte den Treff der Weltjugend längst als Spielball im Kampf der Ideologien. Dennoch wurden an der Moskwa neue sporthistorische Mythen geboren und andere entzaubert. Und Potsdamer Athleten waren maßgeblich daran beteiligt.
Der Reihe nach. Moskau, die Hauptstadt der Führungsmacht der Ostblockstaaten, pochte schon lange auf das moralische Recht, Gastgeber für Olympische Spiele zu werden. Doch gerade diese mit dem Begriff Menschenrechte zusammengefasste "moralische" Grundlage in der Sowjetunion war es, wegen der der "erste sozialistische Staat" bis dahin unberücksichtigt blieb. Auch bei der Entscheidung des IOC für Moskau im Jahre 1974 lag es eher an der mangelnden Zahl der Mitbewerber, als dass man der damals acht Millionen Einwohner beherbergenden Metropole der UdSSR den Zuschlag mit Freuden erteilt hätte. Als einziger Mitbewerber stand Los Angeles noch zur Auswahl. Doch da die Winterspiele schon an Lake Placid vergeben waren, kam eine zweite Stadt aus den USA erst für vier Jahre später, also 1984 in Frage.
Schon ab dem ersten Tage nach der Vergabe der Spiele an Moskau ging das politische Gezänk um diesen Schauplatz los. In den Ländern mit "westlichen Werten" wurden immer wieder neue Gründe gefunden, Druck auf die Sowjetunion, das Internationale Olympische Komitee oder Staaten in Asien und Afrika auszuüben. Als dann im Dezember 1979 sowjetische Truppen in Afghanistan einmarschiert waren, gab es endlich den handfesten Anlass für Sanktionen. Und die beinhalteten schließlich einen Boykott-Aufruf der US-Regierung gegen Olympia in Moskau. 66 Nationale Olympische Komitees schickten daraufhin keine ihrer Sportler zu den Spielen. Allerdings gehörten diese NOK's eher zu Ländern aus der sogenannten Dritten Welt. Von den NATO-Partnern folgten lediglich vier dem Ansinnen der USA. Darunter das NOK der Bundesrepublik Deutschland, das sich - wenn auch nur mit knapper Abstimmungsmehrheit - damit den Wünschen der eigenen Sportler widersetzte. Dagegen waren unter anderen die Olympischen Komitees Großbritanniens, Frankreichs, Belgiens, Spaniens, Portugals, Schwedens, Finnlands und Dänemarks den Absage-Empfehlungen ihrer Regierungen nicht gefolgt. Sie delegierten ihre Sportler trotzdem in die zum Teil mit großem Aufwand errichteten olympischen Arenen von Moskau, allerdings mit einigen Auflagen in Fragen der Zeremonien.
Diesmal war also das geteilte Deutschland wie schon 1952 nur halb vertreten. In Helsinki 28 Jahre vorher fehlte dem DDR-NOK noch die Duldung bzw. Anerkennung, weshalb nur Westdeutschland in die olympische Familie durfte. In Moskau 1980 blieb die Vertretung der Bundesrepublik aus eigenem Antrieb der Veranstaltung fern. Umso mehr konnten sich die Ostdeutschen in Szene setzen und damit als Diplomaten im Trainingsanzug für ihre kleine Republik werben. Die mit 345 Athleten angerückte zweitgrößte Mannschaft behauptete schon durch das Fehlen der Sportmacht USA mit 47 Goldmedaillen, 37 silbernen und 42 bronzene Plaketten Platz zwei in der Nationenwertung hinter den Gastgebern, die eine Rekordausbeute von Edelmetall-Chips (80/69/46) einfuhren. Die DDR-Schwimmerinnen gewannen allein elf Titel und standen dabei sogar sechsmal zu Dritt auf dem Medaillen-Podest. Ebenfalls elfmal schoben die DDR-Ruderer ihre Bootsspitzen als erste über die Ziellinie. Dabei hätten die Männer von Elbe, Havel oder Spree fast die Einmaligkeit geschafft, alle Finals zu gewinnen. Lediglich der Finne Pertti Karpinen und der Russe Wassili Jakuscha milderten als Erster und Zweiter im Einer-Rennen vor Peter Kersten aus Magdeburg diese Schmach für die anderen Ruder-Nationen.
Gleich 34 Sportler im olympischen Wettstreit der Sommerspiele von 1980 gehörten den beiden Leistungszentren in Potsdam an. Bemerkenswert der Auftritt einer damals 18-jährigen Kanutin, die noch niemand so richtig auf der Rechnung hatte, die aber im Einer perfekt wie keine zweite übers Wasser des künstlichen Kanals von Krylatskoje rutschte: Birgit Fischer. Für die gebürtige Brandenburgerin begann an jenem späten Nachmittag des 1. August eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte.
Das über 100.000 Zuschauer fassende Olympiastadion im Lushniki-Park wurde trotz Fehlens der US-Amerikaner zur Bühne großartiger Leichtathletik-Wettbewerbe, woran auch Potsdamer Sportler bemerkenswerten Anteil hatten. Obwohl die Gastgeber klitzekleine Schummeleien vorgenommen haben sollen, um ihre Aktiven ein wenig zu bevorteilen, schaffte es Evelin Jahl erneut auf den Diskus-Thron der Frauen. Der Schützling von Trainer Lothar Hillebrand, der 1976 in Montreal noch unter dem Mädchennamen Schlaak erfolgreich war, ließ sich nicht von den "Spielereien" der Stadionarbeiter aus der Ruhe bringen. Die hatten bei den Würfen ihrer Landsfrau Tatjana Lessowaja das Marathon-Tor des Stadions geöffnet, um ein wenig mehr Windunterstützung zu erzeugen. Diese Aktionen vollführten sie ebenso bei anderen Wurfwettbewerben.
Hatte sich der Hallenser Waldemar Cierpinski mit der Wiederholung des Marathon-Sieges von 1976 schon in die Herzen der deutschen Lauf-Fans gerannt, so schaffte dies dann auch der Potsdamer Jürgen Straub. Mit einem beeindruckenden Endspurt verwies er über 1500 Meter das Mittelstrecken-Genie Stephen Ovett aus Großbritannien auf Platz drei. Vier Zehntelsekunden weniger und er hätte auch noch den anderen Serien-Weltrekordler von der Insel, Sieger Sebastian Coe abgefangen. Letzterer taucht übrigens rund 30 Jahre später an anderer prononcierter Stelle der olympischen Geschichte wieder auf: als Chef des Organisationskomitees für die Spiele in London 2012.
Moskau 1980, das war der Schauplatz für die Inszenierung einer ganz besonderen Familie. Der Name Beyer mit dem Geburtsort Eisenhüttenstadt findet sich nämlich gleich drei Mal in den Wettkampflisten. Kugelstoßer Udo Beyer kannte man bereits durch seinen Olympiasieg von 1976. Ihm gelang in Moskau die gleiche Weite wie in Montreal vier Jahre zuvor. Für diese 21,06 Meter erhielt er diesmal Bronze. Seine "kleine" Schwester Gisela wurde im Diskuswerfen Vierte. Die zweite Goldene für die Medaillensammlung des Familien-Clans Beyer steuerte Hans-Georg bei. Er wirbelte im DDR-Handball-Team, das im olympischen Finale von Moskau ausgerechnet die Gastgeber mit 23:22 besiegte. Beyers "Hansi" blieb es in dieser nervenaufreibenden Partie vorbehalten, in der Verlängerung das entscheidende 23. Tor zu erzielen.
Die Potsdamer Olympiateilnehmer von 1980 in Moskau:
Leichtathletik:
- Evelin Jahl - Diskuswerfen: Gold
- Jürgen Straub - 1500 Meter: Silber
- Frank Schaffer - 400 Meter: Bronze; 4mal 400 Meter: Silber
- Klaus Thiele - 4mal 400 Meter: Silber
- Udo Beyer - Kugelstoßen: Bronze
- Jörg Freimuth - Hochsprung: Bronze
- Klaus-Dieter Kurrat - 100 Meter: nach Vorlauf ausgeschieden
- Olaf Beyer - 800 Meter: nach Semifinale ausgeschieden
- Peter Rieger - Weitsprung: Platz 20
- Ulrike Bruns - 1500 Meter: Platz 5
- Gisela Beyer - Diskuswerfen: Platz 4
- Burglinde Pollak - Siebenkampf: Platz 6
Kanurennsport:
- Birgit Fischer - Kajak-Einer, 500 Meter: Gold
- Uwe Madeja - Zweier-Canadier, 1000 Meter: Silber
- Peter Hempel - Zweier-Kajak, 1000 Meter: Platz 5
- Harry Nolte - Zweier-Kajak, 1000 Meter: Platz 5
Rudern:
- Bernd Landvoigt - Zweier ohne Steuermann: Gold
- Jörg Landvoigt - Zweier ohne Steuermann: Gold
- Bernd Krauß - Achter: Gold
- Jörg Friedrich - Achter: Gold
- Karl-Heinz Ludwig - Achter (als Steuermann): Gold
- Jutta Lau - Doppelvierer mit Steuerfrau: Gold
- Roswietha Zobelt - Doppelvierer mit Steuerfrau: Gold
- Liane Buhr - Doppelvierer als Steuerfrau: Gold
- Christiane Köpke - Achter: Gold
- Birgit Schütz - Achter: Gold
- Martina Schröter - Einer: Bronze
Fechten:
- Klaus Kotzmann - Herrenflorett, Einzel: Platz 9; Herrenflorett, Mannschaft: Platz 4
- Rüdiger Müller - Säbel, Einzel: Platz 27; Säbel, Mannschaft: Platz 6
- Sabine Hertrampf - Damenflorett, Einzel: Platz 23; Damenflorett, Mannschaft: Platz 8
- Marion Schulze - Damenflorett, Mannschaft: Platz 8
Schwimmen:
- Sarina Hülsenbeck - 4mal 100 Meter Freistil: Gold; 4mal 100 Meter Lagen: Gold (nur im Vorlauf eingesetzt)
- Sylvia Rinka - 100 Meter Brust: nach Vorlauf ausgeschieden; 200 Meter Brust: Platz 8
Turnen:
- Reinhard Rückriem - nicht eingesetzt
Weitere Teilnehmer mit Potsdamer Hintergrund:
Handball:
- Hans-Georg Beyer - Gold (Bruder von Udo und Gisela Beyer, nach seiner Handball-Karriere in Potsdam Zuhause)
- Lothar Döring - Gold (für SC Leipzig/gebürtiger Potsdamer)
Leichtathletik:
-
Ilona Slupianek - Gold im Kugelstoßen (gebürtige Potsdamerin)
Quellenangabe: Volker Kluge, "Olympische Sommerspiele, Die Chronik", Sportverlag Berlin, "Märkische Volksstimme"