Gedenken an den 20. Juli 1944

Schloss Lindstedt wurde ab 1858 als Alterssitz für König Friedrich Wilhelm IV umgebaut. Jetzt können darin Empfänge stattfinden und es darf geheiratet werden.
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Schloss Lindstedt wurde ab 1858 als Alterssitz für König Friedrich Wilhelm IV umgebaut. Jetzt können darin Empfänge stattfinden und es darf geheiratet werden. Foto: Michael Lüder/SPSG

Am Samstag hielt die Beigeordnete für Ordnung, Sicherheit, Soziales und Gesundheit, Brigitte Meier, im Schloss Lindstedt ein Grußwort auf der Veranstaltung zum Gedenken an den 20. Juli 1944 anlässlich des Attentats auf Adolf Hitler.

Hier folgt das Grußwort. Es gilt das gesprochene Wort:

 
Sehr geehrte Frau Dr. von Aretin,
sehr geehrter Herr Schwittay,
sehr geehrte Damen und Herren,
 
heute vor 75 Jahren flog Claus Graf Schenk von Stauffenberg zusammen mit seinem Adjutanten Oberleutnant Werner von Haeften von Berlin zum Führerhauptquartier Wolfsschanze bei Rastenburg in Ostpreußen. Im Gepäck der Männer: ein Sprengsatz, der den Diktator Hitler töten sollte.

An diesem 20. Juli 1944 befand sich die Welt bereits seit 1784 Tagen im Krieg. 292 Tage Krieg, brutale Terrorherrschaft, massenhafte Tötungen und der Völkermord, sollten noch bis zur bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 folgen. Gerade in den letzten Kriegsmonaten wurde der Mord an Millionen von Juden in das unvorstellbar Grausamste perfektioniert.  

Doch Hitlers Herrschaft war an diesem 20. Juli nicht beendet worden. Der Diktator überlebte das Attentat nur leicht verletzt.

In den folgenden Tagen, Wochen und Monaten begann eine Hetzjagd auf die Verschwörer und Mitverschwörer des 20. Juli: Über 1.000 Männer und Frauen wurden festgenommen. Etwa 200 Personen wurden vor dem Volksgerichtshof wegen Landes- und Hochverrats angeklagt und von Roland Freisler zum Tode verurteilt. Viele suchten den Freitod, um ihre Familien und Wegbereiter zu schützen. So auch Henning von Tresckow, einer der entschlossensten Männer des 20. Juli.

Das Attentat misslang – aber, war es deswegen gescheitert?

Die Männer und Frauen, die den Staatsstreich mittels eines gewaltsamen Umsturzes planten, wollten natürlich den Erfolg ihrer Aktion. Dabei riskierten sie alles, setzten Leib und Leben aufs Spiel und kalkulierten auch die Verfolgung ihrer Angehörigen mit ein, um dem nationalsozialistischen Verbrechen ein Ende zu setzen.

„Wer in unseren Kreis getreten ist“, so Henning von Tresckow am 21. Juli 1944 Abschied nehmend von seinen Freunden, „hat damit das Nessushemd angezogen. Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben hinzugeben.“

Die Männer und Frauen des 20. Juli wussten um das enorme Risiko des Staatsstreiches und waren sich ihrer realen Chancen auf dem Umsturz durchaus bewusst. Ihr entschlossenes Handeln zielte aber auch auf ein in die Zukunft hineinwirkendes Zeichen. Sie wollten der Welt und den kommenden Generationen vor Augen führen, dass nicht alle Hitler folgten und es auch ein anderes Deutschland gab und ein Aufstand gegen die Barbarei möglich war.

Somit kommt dem 20. Juli und all den anderen Versuchen des aktiven Widerstands gegen Hitler und das nationalsozialistische Regime eine klare politische Bedeutung und eine moralische Verpflichtung zur Erinnerung und zur Mahnung zu. Das war leider nicht immer so.

Es hat lange Zeit gedauert, bis unsere Gesellschaft diese wahre Bedeutung des 20. Juli erkennen und anerkennen konnte. Bis weit in die 60er Jahre galten diese Männer und Frauen um Henning von Tresckow und Claus Schenk Graf von Stauffenberg als Landesverräter. Heute gehört das ehrende Gedenken an sie zum integralen Bestandteil unserer Erinnerungskultur.

Es schließt auch den differenzierten Blick auf die konservativen und militärischen Eliten des NS-Staates mit ein. Viele unter ihnen sympathisierten mit den antidemokratischen Kräften und unterstützten zum Teil aktiv das menschverachtende und menschenvernichtende NS-System.

Eine differenzierte Sichtweis auf die Wehrmacht entstand erst in den 90er Jahre. Bis dahin galten die Männer der Wehrmacht als Helden oder Opfer, je nach politischer Sichtweise und familiärer Betroffenheit. Die Männer, die in der Wehrmacht waren lebten noch oder hinterließen als Gefallene Angehörige. Es waren die engen Verwandten der Wehrmachtsangehörigen, also die Ehefrauen, die Töchter und Söhne oder wie ich die Enkelkinder, die diese Männer kannten und liebten. Diese Väter, Großväter und Ehemänner mit den Verbrechen des NS Regime in Verbindung zu bringen schien unmöglich.

Es war die „Wehrmachtsaustellung“ des Hamburger Institutes für Sozialforschung mit der sich der Blick auf die Wehrmacht änderte. Durch sie wurden die Verbrechen der Wehrmacht in der Zeit des Nationalsozialismus, vor allem im Krieg gegen die Sowjetunion, einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht und kontrovers diskutiert. Als diese 2002 nach München kam, gab es im Vorfeld der Ausstellung eine erbitterte Debatte mit großen Demonstrationen um die Rolle der Wehrmacht im Nationalsozialismus.

Im heutigen Wissen um die Rolle der Wehrmacht im Nationalsozialismus ist es umso wichtiger zu sehen, dass es auch Angehörige der Wehrmacht gab, die sahen welche Verbrechen durch sie begangen wurden und dass, das sinnlose Töten ein Ende haben musste.

Claus Graf Schenk zu Stauffenberg: „Es ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem Gewissen.“

„Ich könnte den Frauen und Kindern der Gefallenen nicht in die Augen sehen, wenn ich nicht alles täte, dieses sinnlose Menschenopfer zu verhindern.“

1942 begann eine Gruppe, für die heute die Namen Henning von Tresckow und Claus Schenk Graf von Stauffenberg stehen, Pläne zu verwirklichen, die den Tod Hitlers zum Ziel hatten

Die Erinnerung an den 20. Juli lehrt und mahnt uns: Wir haben eine Wahl, eine Wahl zwischen Handeln und Unterlassen, zwischen Reden und Schweigen, zwischen Erinnern und Vergessen. Aus einer derartigen Erinnerung entsteht die Verpflichtung, das Erbe des 20. Juli zu bewahren und mit Leben zu erfüllen: die Rechtsstaatlichkeit zu pflegen, die demokratischen Grundwerte zu verteidigen und die Menschenwürde über alles zu stellen.

Max Mannheimer, Münchner Jude und Überlebender der Schoa war einer der wichtigsten Zeitzeugen, wenn es darum ging junge Menschen die Verbrechen des Nationalsozialismus und die Schoa nahe zu bringen. In seinen Vorträgen, die emotional für ihn eine große Anstrengung waren sagte er immer: „Ihr, die Jungen, ihr tragt keine Schuld für das, was passiert ist, aber ihr habt heute die Verantwortung, dass es nie wieder passiert.“

Wie die Gruppe um Hennig von Treskow und Claus Schenk Graf von Staufenberg haben auch wir heute die Wahl uns zu entscheiden, ob wir unsere Demokratie und unsere Werte für eine offene Gesellschaft verteidigen oder nicht. Wir tragen aber dabei nicht das Risiko unser Leben zu verlieren oder das unserer Angehörigen zu gefährden. Wenn gleich der Tot des Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübke und die Bedrohung engagierter Politiker zeigt, dass sich auch hier gerade etwas dramatisch verändert hat.

Und, dennoch darf uns dies nicht abschrecken, unsere Demokratie und unsere Werte zu verteidigen.

Meine Damen und Herren, in diesem Jahr gedenken wir im Besonderen Henning von Tresckow. Als Stratege des militärischen Widerstandes plante von Tresckow drei Bombenanschläge auf die NS-Führung. Er versuchte Verbündete für seine Umsturzpläne zu gewinnen, darunter Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff, Axel von dem Bussche und schließlich Claus Schenk Graf von Stauffenberg. In die Pläne war auch seine Frau Erika von Tresckow eingeweiht.

Die heutige Veranstaltung findet hier im Schloss Lindstedt statt – dem einstigen Familiensitz von Erika von Tresckow, geborene von Falkenhayn. Erich von Falkenhayn, preußischer General und Kriegsminister, lebte mit seiner Familie nach dem Ersten Weltkrieg auf Schloss Lindstedt, verstarb hier und ist begraben auf dem Bornstedter Friedhof. Vielleicht haben Sie die Gedenktafel für Erika und Henning von Tresckow am Säulengang bemerkt, die zu Ehren des Paars 1991 angebracht wurde.

Potsdam ist in vielfältiger Weise direkt und indirekt mit den Planungen des Staatsstreiches verbunden. Neben Henning von Tresckow wirkten und lebten hier Frauen und Männer, die an den Vorbereitungen des Attentats beteiligt waren.

Ich freue mich sehr, dass heute René Schwittay vom Hans-Otto-Theater Texte, Dokumente und Berichte von und über Henning von Tresckow vortragen und uns so den Menschen Henning von Tresckow ganz nahebringen wird.

Und ganz besonders freue ich mich, dass Sie, liebe Frau von Aretin, heute zu dieser Veranstaltung angereist sind, um mit uns gemeinsam Ihren mutigen Eltern und insbesondere Ihrem Vater, Henning von Tresckow, zu gedenken.

Vielen Dank!