Trauern und Erinnern

Liebe Potsdamerinnen und Potsdamer,

es sind die Gefallenen und Vermissten der beiden Weltkriege, aber auch die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, an die ich heute am Volkstrauertag erinnern möchte. Sie alle hatten gehofft, irgendwann wieder zu Hause zu sein, doch allzu viele der Verfolgten, der Verhafteten, der in Konzentrationslager Verschleppten kehrten nie zurück.

Ihrer und somit aller Menschen gedenken wir, die getötet wurden, nur weil sie einer anderen Rasse oder einer anderen Religion angehörten oder weil sie Widerstand gegen ein unmenschliches Regime geleistet haben. Wir erinnern uns an das unermessliche Leid, das Kriege und Gewalt gestern und heute über so viele Menschen in unserem Land und in vielen anderen Ländern gebracht haben.

Am Volkstrauertag setzen wir in Potsdam mit der Gedenkfeier am Sowjetischen Ehrenfriedhof auf dem Bassinplatz und in der Großen Trauerhalle auf dem Neuen Friedhof ein klares Zeichen gegen das Vergessen - weil dieses Gedenken vielerorts gar nicht mehr selbstverständlich ist. Der Zweite Weltkrieg ist schon 67 Jahre her, Zeitzeugen des Ersten Weltkrieges gibt es fast überhaupt nicht mehr. Im Herzen von Europa leben wir in einer Phase des Friedens, einer Zeit der Versöhnung und der Annäherung. Auch wenn immer wieder Krisen das europäische Haus rütteln und schütteln, ich bin mir sicher, dieses Haus steht auf sicherem Fundament.

Auch begründet durch diese lange Friedensphase sind Bürgerkriege und Waffenkonflikte, Gewaltexzesse und Vertreibungen für weite Teile der Bevölkerung - gerade auch für junge Menschen - buchstäblich ganz weit weg. Frieden ist für sie vollkommen selbstverständlicher Alltag, der niemals in Frage gestellt wird. Doch Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Frieden muss erkämpft werden täglich, mühsam und ausdauernd.

Und man muss sich nur einmal in der Welt umschauen - in Syrien, in Mali, in Afghanistan - überall herrschen auch heute noch Krieg, Gewalt und Verfolgung. Und auch deutsche Soldaten sind in Kriegsgebieten im Einsatz. Lange haben wir die deutsche Beteiligung an Auslandseinsätzen nicht ernsthaft wahrgenommen oder in ihrer wirklichen Bedeutung erfasst. Erst die Zuspitzung der Lage in Afghanistan hat ins allgemeine Bewusstsein gerückt, dass deutsche Soldaten im Ausland nicht nur Wahlen überwachen oder Brunnen bauen.

Ich sage es an dieser Stelle ganz deutlich: Wenn wir wirklich die Herausforderungen des
21. Jahrhunderts annehmen wollen, dann müssen wir die Erinnerung an die Katastrophen des 20.Jahrhunderts bewahren.

Der damalige Bundespräsident Johannes Rau sagte anlässlich der Trauerfeier für in Afghanistan gefallene Bundeswehrsoldaten: "Der Staat kann nicht trauern, trauern können nur Einzelne." Deshalb wollen wir am Volkstrauertag auch vor allem bei denen sein, die sehr individuell und persönlich Schmerz erfahren haben. Wir sind bei den Hinterbliebenen, mit denen wir an diesem Tage trauern und die denjenigen gedenken, die in ihrem Herzen in Erinnerung bleiben.

Ihr

Jann Jakobs


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