Potsdam - Labor der Einheit

Liebe Potsdamerinnen und Potsdamer,

wir blicken auf den Tag der Deutschen Einheit. Er jährt sich am Mittwoch schon zum 22. Mal. Wir freuen uns, den Tag auch dieses Jahr wieder zusammen mit Gästen aus unseren Partnerstädten Bonn und Opole feiern zu können. Besonders die gemeinsamen, jährlich stattfindenden Einheitsfeierlichkeiten mit der Bundesstadt Bonn sind ein ebenso symbolhafter wie lebenspraktischer Beweis für das Zusammenkommen der beiden ehemaligen deutschen Staaten und ihrer Menschen. Traditionsgemäß am Vorabend des 3. Oktober werden wir wieder gemeinsam in der Nikolaikirche das Festkonzert zur Deutschen Einheit besuchen. Ein feierlicher Moment - aber auch ein guter Anlass, einmal zurück zu schauen.

In all den Jahren, in all den Bilanzen, die wir seit der Einheit gezogen haben, ist mir ein Satz besonders in Erinnerung geblieben. Er stammt aus dem Jahr 2007 und ist von Buchhändler Carsten Wist: „Vielleicht ist Potsdam die erste wirklich deutsch-deutsche Stadt geworden." Ich finde, Carsten Wist hat recht. In Potsdam hat sich seit 1990 die Einheit nahezu unter Laborbedingungen entwickelt. In keiner anderen Stadt - außer vielleicht Berlin - sind die Gegensätze, die Ambivalenzen deutlicher zu Tage getreten. Carsten Wist beschreibt das so: Am Ende der DDR habe er nicht einmal einen Traum, eine Vorstellung vom Leben in Potsdam gehabt. Die Stadt war grau, seiner Geschichte fast beraubt und ohne Perspektive. Doch als die Wende kam, sahen die Potsdamerinnen und Potsdamer die Chance kommen, aus der Stadt etwas zu machen. Architekturbegeisterte und Kulturbeflissene Ur-Potsdamer engagierten sich. Viele Einheimische packten an, ergriffen die Gelegenheit, Potsdam neuen Glanz zu geben. Privates Kapital aus dem Westen floss in die Stadt. Immer mehr Menschen eroberten die neue brandenburgische Landeshauptstadt. Sicher, es waren auch ein paar Glücksritter dabei. Aber alle einte der Gedanke, dass man in Potsdam noch etwas bewegen kann. Dass sich die Stadt verändern kann, wenn man sich engagiert.

Heute konstatieren wir ein enormes Wachstum, das es zu meistern gilt. Fast 2000 Menschen kommen in Potsdam pro Jahr hinzu. Und mit 7,4 Prozent Arbeitslosigkeit und steigenden Einnahmen aus der Gewerbesteuer geht es uns im Vergleich zu anderen Städten Brandenburgs sehr gut. Keine Frage. Aber es sind auch Ambivalenzen spürbar. Das Spannungsverhältnis in der Stadt heißt heute weniger Ost/West, sondern Arm/Reich oder Ur-Potsdamer/Neu-Potsdamer. Unsere Aufgabe ist es, das Gleichgewicht zu halten. Ich bin mir bewusst, dass das eine riesige Herausforderung für mich als Oberbürgermeister und die gesamte Stadtverwaltung bedeutet. Wir müssen auf der einen Seite den Mäzenen die Türen öffnen, wenn sie Gutes tun wollen. Und wir müssen die Interessen der Einheimischen berücksichtigen, zum Beispiel günstige Mieten, gute Einkaufsmöglichkeiten und schnelle Verkehrsverbindungen gewährleisten. Das Ganze muss sich in unserer Gemeinschaft die Waage halten.

Ich bin überzeugt, dass wir das in den vergangenen Jahren durchaus erfolgreich umgesetzt haben. Die Geschichte Potsdams ist nicht auf allen Ebenen, aber im Wesentlichen vor allem eines: eine Erfolgsgeschichte. Wir haben die städtebauliche Qualität erhalten und verbessert. Wir sind geschichtsbewusst und modern. Wir gestalten die Potsdamer Mitte neu. Wir haben eine Zivilgesellschaft aufgebaut, die Rechtsextremen keinen Platz bietet. Wir haben Plattenbaugebiete nicht nur erhalten, sondern saniert und schaffen mit der Gartenstadt Drewitz ein Beispiel für ein modernes, energieeffizientes Wohngebiet. Wir haben nahezu alle Kitas und Schulen auf den neuesten energetischen Stand gebracht, Unternehmen angesiedelt und eine stolze Wissenschaftslandschaft aufgebaut. Sicher, es klappt nicht alles und auf dem Weg geht auch schon mal das eine oder andere schief. Aber die Richtung stimmt. Der enorme Zuzug und die großartige Zufriedenheit der Potsdamerinnen und Potsdamer, die sich in Umfragen deutlich macht, geben uns recht.

Was das alles mit dem Tag der Deutschen Einheit zu tun hat? Sehr viel. In Potsdam haben sich viele Dinge seit dem Fall der Mauer fokussiert. Die Hälfte der Bevölkerung ist hinzugezogen. Sie haben eigene Geschichten, eigene Heimatorte mitgebracht. Und die, die hiergeblieben sind, haben sich in einem neuen Gesellschaftssystem einfinden müssen. Potsdam ist eben vielleicht die erste wirklich deutsch-deutsche Stadt geworden. Oder zumindest auf dem Weg dahin...

Ihr

Jann Jakobs

 


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