Geschichten über Potsdamer Olympioniken: Premiere für die Ruderinnen

Potsdamer Olympioniken, Folge 7

Text: Horst Sperfeld

Geschichten über Potsdamer Olympioniken: Premiere für die Ruderinnen

Potsdamer Olympioniken, Teil 7

Montreal 1976

Trotz des tragisch geendeten Terroranschlags sind die Spiele von München beispielhaft gewesen. Das lässt sich in vielerlei Hinsicht behaupten. Vor allem trifft das aber auf die Perfektion der Abläufe und den gelungenen infrastrukturellen und architektonischen Rahmen zu. Alle Nachfolger würden nun daran gemessen werden. Die Kanadier, genauer gesagt die Stadtväter der sehenswerten Millionenstadt Montreal am St. Lorenz-Strom im Norden des amerikanischen Doppel-Kontinents, wollten vier Jahre später die Münchner aus dem kleinen Europa noch übertreffen. Gegen die Deutschen hatten sie schließlich die Olympiabewerbung für 1972 verloren. Vor allem die Bauten sollten neue Maßstäbe setzen, wurden nur leider bis zu den Spielen nicht fertig. Ein Grund dafür war, dass die kanadische Bundesregierung finanziell nicht so mitzog, wie es sich die Montrealer vorgestellt hatten. Der elegante, mit 45 Grad Neigung das Stadiondach haltende Aussichtsturm wurde sogar erst zwölf Jahre nach den Spielen fertig gestellt. Allerdings ist den Kanadiern und ihrem französischen Architekten damit ein 145 Meter hoher Blickfang gelungen, der heute zu den besonderen Wahrzeichen und Anziehungspunkten gehört.

Jener schiefe Turm beherbergt in seinem Fundament die für die DDR damals so bedeutend gewordene Schwimmhalle. Und das am Turm hängende, wie ein Fallschirm wirkende Stadiondach überdeckt nun die Fläche, auf der die DDR-Fußballer mit dem Olympiasieg ihren einzigen großen Titel ihrer Geschichte gewannen. Doch wie bereits festgehalten: weder jenes Dach noch die Schwimmhalle waren zu den Spielen in der zweiten Juli-Hälfte des Jahres 1976 ausgereift.

Olympia in Montreal litt unter dem massiven Eingriff der Politik und politisch motiviertem Boykott größeren Ausmaßes. Die kanadische Regierung verweigerte zum Beispiel Taiwans Mannschaft die Einreise, weil sie zu dem chinesischen Inselstaat keine diplomatischen Beziehungen pflegte und gerade wirtschaftliche Beziehungen zur Volksrepublik China aufbaute. Außerdem nahmen 22 Länder aus Afrika und Südamerika in Montreal nicht teil oder zogen ihre bereits vor Ort weilenden Teams wieder ab, weil sie erfolglos den Ausschluss Neuseelands gefordert hatten. Der Insel-Staat sollte aus ihrer Sicht für seine sportlichen Beziehungen - in diesem Falle Rugby - zum Apartheid-Land Südafrika abgestraft werden.

Allen politischen Querelen und wirtschaftlichen Problemen zum Trotz: die Spiele fanden statt. Für die erneut sportlich über ihre Verhältnisse aufgerüstete DDR liefen sie überaus erfolgreich. 267 Aktive schickte das kleine Ostdeutschland nach Übersee. Lediglich die Sowjetunion, die USA, Gastgeber Kanada und die Bundesrepublik Deutschland waren zahlenmäßig stärker vertreten. Am Ende des sportlichen Treibens hatten die DDR-Aktiven mit 40 goldenen sowie jeweils 25 silbernen und bronzenen Medaillen sogar mehr Edelmetall gesammelt als das US-Team, und das auf dessen Kontinent. Lediglich in der Bilanz des sogenannten großes Bruders UdSSR stand noch eine größere Medaillenzahl. Allein die DDR-Schwimmerinnen um Vierfach-Siegerin Cornelia Ender aus dem vogtländischen Plauen, die beim SC Chemie Halle trainierte, belegten elf Mal das oberste Ehrungspodest.

Potsdam war mit 24 Athleten vertreten. Von ihnen trumpften erstmals die Ruderer aus dem Seekrug und die Leichtahleten aus dem Luftschiffhafen groß auf. In der Leichtathletik tauchten zwei Namen in den Siegerlisten auf, die vorher bestenfalls Experten auf dem Zettel hatten. Evelin Schlaak und Udo Beyer waren als Junioren-Europameister nach Montreal gekommen und düpierten hier die Weltspitze im Diskuswerfen der Frauen und im Kugelstoßen der Männer. Evelin Schlaak hatte ihre Konkurrenz gleich im ersten Versuch mit der späteren Siegerweite von 69 Metern geschockt. Udo Beyer gelang im fünften Durchgang ein Konter von 21,06 Metern gegen den seit dem dritten Stoß mit glatten 21 Metern führenden Drehstoßtechniker Alexander Baryschnikow aus der Sowjetunion. Gleich zwei Mal durfte Ellen Streidt, geborene Strophal, zur Siegerehrung. Die aus Wittstock stammende Sprinterin, die schon in München 1972 mit Platz vier über 200 Meter nur knapp eine Medaille verpasst hatte, holte sich auf der Tartanbahn von Montreal die Bronzemedaille über 400 Meter und düste mit der Staffel über viermal vier Stadionrunden sogar zu Gold. Sie blieb bis heute die einzige Läuferin aus dem Luftschiffhafen, die es im Sprint jemals zu olympischen Meriten gebracht hat.

Montreal steht für die Premiere des Ruderns der Frauen in der Geschichte der Olympischen Spielen. Diese medaillenintensive Neuerung kam besonders dem DDR-Sport gelegen, in dem das Frauen-Rudern prognostisch schon länger gefördert worden war. In den sechs Disziplinen, die auf einem Kanal-Stück auf der beim U-Bahn-Bau in den St. Lorenz-Strom geschütteten Insel Notre Dame ausgefahren wurden, setzten sich die DDR-Frauen gleich vier Mal durch. Die anderen beiden Rennen gewannen die Bulgarinnen. Von der SG Dynamo Potsdam saßen sechs junge Damen in den Siegerbooten. Im gesteuerten Gold-Vierer zog auch Jutta Lau, die später zur erfolgreichsten Frauen-Rudertrainerin der Welt avancierte, die Skulls kraftvoll durchs Wasser.

Bei den Männern glänzten Bernd und Jörg Landvoigt vom Seekrug. Die beiden Weltmeister, die eine seit 1966 anhaltende Führungs-Tradition für die DDR im ungesteuerten Zweier fortsetzten, hatten im Ziel über drei Sekunden Vorsprung vor den zweitplatzierten US-Amerikanern. Ostdeutsche Siege, auch mit Potsdamer Beteiligung, gab es in weiteren vier von insgesamt acht Männer-Bootsklassen.

P.S.: In Montreal gab es noch einen Olympiasieger, der seine Wurzeln in Potsdam hat. Bester Schwergewichtsringer im klassischen Stil wurde in der kanadischen Stadt Nikolai Balboschin aus der Sowjetunion. Der damals 27-jährige Moskauer war der überragende Schwergewichtsringer der 1970er Jahre überhaupt. Er gewann fünf Weltmeistertitel und  ist bei bedeutenden Meisterschaften nur einmal - von einem Bulgaren - besiegt worden. Dass er bei Olympia nur diesen einen Titel holte, lag an seinen vielfältigen Verletzungen. Balboschin wurde am 8. Juni 1949 als Sohn eines Feldwebels geboren, der zu einer Einheit der Roten Armee gehörte, die in Potsdam stationiert war. Als Berufssoldat hatte er seine Familie mit in der DDR.  

Die Potsdamer Olympiateilnehmer von 1976 in Montreal:

Leichtathletik:

  • Evelin Schlaak - Diskuswerfen: Gold
  • Udo Beyer - Kugelstoßen: Gold
  • Ellen Streidt - 4mal 400 m: Gold; 400 Meter: Bronze
  • Klaus-Dieter Kurrat - 4mal 100 Meter: Silber; 100 Meter: Platz 7
  • Peter Frenkel - 20 Kilometer Gehen: Bronze
  • Gabriele Hinzmann - Diskuswerfen: Bronze
  • Burglinde Pollak - Fünfkampf: Bronze
  • Manfred Seidel - Hammerwerfen: Platz 10
  • Rita Kirst - Hochsprung: Platz 22
  • Peter Rieger - Weitsprung: ohne Start

Rudern:

  • Bernd Landvoigt - Zweier ohne: Gold
  • Jörg Landvoigt - Zweier ohne: Gold
  • Karl-Heinz Bußert - Doppelvierer: Gold
  • Anke Borchmann - Vierer mit Stfr.: Gold
  • Roswitha Zobelt - Vierer mit Stfr.: Gold
  • Jutta Lau - Vierer mit Stfr.: Gold
  • Liane Weigelt - Vierer mit Stfr.: Gold (als Steuerfrau)
  • Viola Goretzki - Achter: Gold
  • Christiane Köpke - Achter: Gold
  • Detlef Strey - ohne Start

Kanurennsport:

  • Wilfried Stephan - Canadier-Einer, 500 Meter: Platz 5, Canadier-Einer, 1000 Meter: Platz 7

Turnen:

  • Bernd Jäger - Mehrkampf, Einzel: Platz 10; Mehrkampf, Mannschaft: Bronze; Barren: Platz 4; Reck: Platz 10; Ringe: Platz 20; Seitpferd: Platz 23; Pferdsprung: Platz 26; Boden: Platz 42
  • Wolfgang Klotz - Mehrkampf, Einzel: Platz 14; Mehrkampf, Mannschaft: Bronze; Boden: Platz 16; Seitpferd: Platz 21; Pferdsprung: Platz 22; Ringe: Platz 34, Reck: Platz 34; Barren: Platz 36

Schwimmen:

  • Lutz Wanja - 200 Meter Rücken: Platz 3 im Vorlauf, ausgeschieden

Weitere Teilnehmer mit einem Potsdamer Hintergrund:

Rudern:

  • Brigitte Ahrenholz - Achter: Gold (für Berlin)

Ringen:

  • Nikolai Balboschin - Schwergewicht, klassisch: Gold (UdSSR)       

Quelle: Volker Kluge, "Olympische Sommerspiele, Die Chronik", Sportverlag Berlin, "Märkische Volksstimme"