Geschichten über Potsdamer Olympioniken: Immer noch Birgit Fischer

Potsdamer Olympioniken, Folge 12

Text: Horst Sperfeld

Geschichten über Potsdamer Olympioniken: Immer noch Birgit Fischer

Potsdamer Olympioniken, Teil 12

Atlanta 1996

Genau genommen war die Welt nie in einem Zustand, in dem man ohne Sorgen ein großes Fest wie die Olympischen Spiele sorglos hätte feiern dürfen. Leider machte auch der Jahrgang 1996 keine Ausnahme. Zwar war der Kalte Krieg, der aus dem Gegensatz der Gesellschaftsmodelle reflektierte, vorüber. Dafür aber zogen überall Menschen für neue Ideale in mörderische, bewaffnete Auseinandersetzungen. An Kriege im Nahen Osten, im islamischen Raum oder in Afrika hatte man sich - so schlimm das klingt - fast schon gewöhnt. Dass nun aber auch der europäische Osten und sogar das seit der politischen Wende scheinbar vor einer wunderbaren, friedlichen Zukunft stehende Mitteleuropa von massenhaftem Mord und Totschlag betroffen sein würde, schien noch am Anfang des Jahrzehnts undenkbar.

Die einst große Sowjetunion, der starke Gegenpol zum amerikanisch dominierten Westen, zerfiel immer mehr. In ihrem Selbstfindungsprozess nach dem Untergang des Kommunismus hatte sie unter innenpolitischen Machtkämpfen zu leiden. Zugleich musste sie einige ihrer wichtigsten Regionen wie das Baltikum, die vermeintliche Kornkammer Ukraine, Weißrussland, Georgien oder Aserbaidschan in die nationale Unabhängigkeit entlassen. Das lief noch relativ konfliktlos. Die Freiheitsbestrebungen verschiedener Volksstämme in ihrem strategisch so wichtigen Süden brachten dem einstigen Super-Reich dagegen viel Blutvergießen innerhalb der eigenen Grenzen. In der Mitte Europas brodelte es ebenso gewaltig. Trennten sich die Tschechei und die Slowakei noch friedlich, so zerbröselte das einstige Jugoslawien in grausamem Bürgerkriegsgetümmel, das nicht einmal durch UNO-Truppen eingedämmt werden konnte.

Der Weltsport ließ sich von all dem nicht seine Feste vermiesen, wollte vielmehr gerade durch Olympische Spiele die Völker zur Verständigung aufrufen. Nur ging auch das in diesem Falle nicht ohne Streiterei. Denn eigentlich fühlten sich die Griechen historisch als folgerichtige, einzig denkbare Gastgeber für die Sommerspiele 1996, genau 100 Jahre nach der ersten Olympia-Auflage der sogenannten Neuzeit. Dass nun ausgerechnet die Amerikaner mit der Coca-Cola-Stadt Atlanta bevorzugt wurden, wurmte die Helenen gewaltig. Sie bockten wie kleine Kinder, wollten sich nie mehr bewerben, taten es dann aber doch für die übernächste Auflage im Jahre 2004 und bekamen dafür auch den ersehnten Zuschlag von den Mitgliedern des IOC.

Im Jubiläumsjahr 1996 also Atlanta, die Hauptstadt des US-Bundestaates Georgia. Für die Olympischen Spiele war dieser Ort rein pragmatisch sehr gut geeignet. Moderne Sportstätten in einem relativ kleinen Umkreis angeordnet sicherten kurze Wege. Die Organisation lag wie schon zwölf Jahre zuvor in Los Angeles in privaten Händen. Und das funktionierte erneut. Getrübt wurden die Spiele bestenfalls durch die Hitze in der noch südlicher als der Südzipfel des italienischen Stiefels gelegenen Stadt sowie durch ein Bombenattentat, das zwei Menschen den Tod brachte und zahlreiche Verletzungsopfer kostete.     

Deutschland schickte 465 Athleten ins Geschehen und stellte damit die zweitgrößte Mannschaft nach den Gastgebern (648). Gemessen an dem Aufwand nahmen sich die 20 Gold-, 18 Silber- und 27 Bronzemedaillen recht bescheiden aus. Dennoch, der Weltsport war ausgeglichener geworden, die Zahl der Länder, die sich über Olympiasieger freuen konnten, auf 53 gegenüber 37 vier Jahre zuvor in Barcelona gestiegen. Das wertet den deutschen Erfolg, der sich wieder in Platz drei der Nationen-Rangfolge dokumentierte, stark auf. An diesen 20 Titeln war Potsdam mit seinen nur noch elf Sportlern dreimal beteiligt.

Die sieben Ruderer, die drei Kanuten und ein Schwimmer hielten das Potsdamer Banner im olympischen Wind. Es gab am Havelufer keine Leichtathleten, keine Turner und keine Fechter mehr, die diesen hohen Ansprüchen hätten gerecht werden können. Aber es gab in der Potsdamer Rudergesellschaft die Trainingsgruppe von Jutta Lau, der einstigen Doppel-Olympiasiegerin. Die später zur Welttrainerin ernannte Pädagogin formte im Seekrug einen Doppelvierer der Frauen, der seinesgleichen auf dem Globus suchte. Die Potsdamerinnen Jana Sorgers, Kerstin Köppen, Kathrin Boron und die Berlinerin Katrin Rutschow waren auf dem Lake Lanier nicht zu halten. Für die drei Potsdamerinnen war es bereits der zweite Triumph bei Olympia.  

Auch Potsdamer Kanuten legten nach. Kay Bluhm und Torsten Gutsche hatten schon in Barcelona als Kajak-Duo dominiert. Ihren beiden Goldmedaillen fügten sie in Atlanta noch einmal Gold und Silber an, womit sie den Lorbeerkranz ihres Erfolgstrainer Rolf-Dieter Amend weiter flochten. Den dritten Sieg für Potsdamer Wassersportler fuhr Gunar Kirchbach mit seinem Partner Andreas Dittmer aus Neubrandenburg im Zweier-Canadier über 1000 Meter ein. Schließlich paddelte auch noch der deutsche Vierer-Kajak der Frauen als erstes Boot seiner Wettkampfklasse über die Ziellinie. Die Schlagzahl in jenem Quartett bestimmte noch immer Seriensiegerin Birgit Fischer. Sie hatte allerdings ihren Verein gewechselt, ging 1996 für den WSV Mannheim-Sonthofen aufs Wasser und kam bei ihrer vierten Teilnahme bereits zu ihrem fünften Olympiasieg. Ebenso Manuela Mucke, die als Sportlerin des SC Berlin Grünau in jenem Siegerboot saß und damit ihre zweite olympische Goldmedaille nach Hause fuhr.

Die drei Titel mit Potsdamer Beteiligung wurden mit Hilfsgeräten wie den Skulls, den Paddeln und den Booten, errungen. Jörg Hoffmann, der als einziger aus der vormals so starken Potsdamer Schwimmerschule in Atlanta dabei war, musste seine acht und dann noch einmal 30 Bahnen im Aquatic Center mit blanken Händen und Füßen durchkraulen. Mit 26 Jahren schon ein Methusalem seiner Sportart, schaffte der Doppelweltmeister von 1991 noch einmal siebte Ränge über 400 und 1500 Meter Freistil.

In den Ruder-Ergebnissen der Sommerspiele von 1996 in Atlanta taucht der Name Jekaterina Chodotowitsch als Siegerin des Einer-Wettbewerbs der Frauen auf. Die Weißrussin, die seinerzeit eine außergewöhnliche Erfolgsserie im Solo-Boot mit sieben Weltmeistertiteln und zwei Olympiasiegen begann, trainierte 1996 und weitere Jahre danach ebenso auf den Gewässern rund um Potsdam. Sie war mit dem Deutschen Wilfried Karsten aus Dormagen liiert, den sie später heiratete. Als sie im Jahre 2000 in Sydney ihren Olympiasieg wiederholte, hieß sie bereits Jekaterina "Katja" Karsten.

Potsdamer Olympiateilnehmer 1996 in Atlanta:

Kanurennsport:

  • Kay Bluhm - Zweier-Kajak, 500 Meter: Gold; Zweier-Kajak, 1000 Meter: Silber
  • Torsten Gutsche - Zweier-Kajak, 500 Meter: Gold; Zweier-Kajak, 1000 Meter: Silber
  • Gunar Kirchbach - Zweier-Canadier, 500 Meter: Platz 4; Zweier-Canadier, 1000 Meter: Gold

Rudern:

  • Kathrin Boron - Doppelvierer: Gold
  • Kerstin Köppen - Doppelvierer: Gold
  • Jana Sorgers - Doppelvierer: Gold
  • Kathleen Naser - Achter: Platz 8
  • Daniela Neunast - Achter: Platz 8 (Steuerfrau)
  • Ike Landvoigt - Vierer ohne Steuermann: Platz 9
  • Detlef Kirchhoff - Achter: Silber

Schwimmen:

  • Jörg Hoffmann - 400 Meter Freistil: Platz 7; 1500 Meter: Platz 7

Einige weitere Olympioniken mit Potsdamer Hintergrund:

Leichtathletik:

  • Uta Pippig - Marathon: ausgeschieden (für Berlin)
  • Kathrin Boyde - 20 Kilometer Gehen: Platz 15 (für Freiburg)
  • Beate Gummelt - 20 Kilometer Gehen: disqualifiziert (für Berlin)
  • Ronald Weigel - 50 Kilometer Gehen: disqualifizier (für Berlin)
  • Carmen Wüstenhagen - 1500 Meter: Vorlauf (für Berlin)

Schwimmen:

  • Sebastian Wiese - 400 Meter Freistil: Platz 10 (für Berlin)

Kanurennsport:

  • Birgit Fischer - Einer-Kajak: Platz 4 (für Mannheim); Zweier-Kajak: Silber; Vierer-Kajak: Gold
  • Manuela Mucke - Vierer-Kajak: Gold (für Berlin)

Segeln:

  • Frank Butzmann - Star-Boot-Klasse: Platz 10
  • Thomas Flach - Soling-Klasse: Gold (Thomas Flach und Frank Butzmann sind beide in Potsdam geboren, segelten in der Jugend bei DEFA Babelsberg unter Günter Kabelitz. Thomas Flach startete dann für den Verein Seglerhaus am Wannsee, Frank Butzmann für den SC Berlin Grünau)

Rudern:

(folgende Sportler bereiteten sich in Potsdam auf Atlanta vor)

  • Jekaterina Chodotowitsch - Einer: Gold (für Weißrussland)
  • Katrin Rutschow - Doppelvierer: Gold
  • Tobias Rose - Leichtgewichts-Vierer ohne: Platz 5
  • Martin Buchheit - Leichtgewichts-Vierer ohne: Platz 5
  • Martin Weis - Leichtgewichts-Vierer ohne: Platz 5
  • Bernhard Stomporowski - Leichtgewichts-Vierer ohne: Platz 5

Quelle: Volker Kluge, "Olympische Sommerspiele, Die Chronik", Sportverlag Berlin, "Märkische Allgemeine Zeitung"