Text: Horst Sperfeld
Geschichten über Potsdamer Olympioniken: Familiäre Staffel-Übergabe
Potsdamer Olympioniken, Teil 15
Peking 2008
Was gab es für ein Gezeter vor Peking 2008. Zum zweiten Male war ein kommunistisches Land als Ausrichter an der Reihe, das konnte doch nun wirklich nicht gut gehen. Diesmal mussten die Tibeter dafür herhalten, das Regime im Land der Sinne anzuprangern. Die Proteste, die es in dem einst von den Chinesen besetzten Land auf den Gipfeln des Himalaja gab, rückten wie nie zuvor und nie mehr danach in den Mittelpunkt der damit zum richtigen Zeitpunkt entrüsteten Weltöffentlichkeit. Außerdem konnte Olympia in der durch Industrie- und Verkehrs-Smog vernebelten Millionen-City doch sowieso nicht funktionieren, wurde geunkt.
Doch, es funktionierte. Es funktionierte sogar in einer Perfektion, die bis dato ihres Gleichen suchte. Der Smog war weggeblasen. Die Chinesen hatten für die Zeit der Spiele die Industrie der Mega-Stadt abgeschaltet und den Verkehr per Gesetz und Fahrverbote für die Hälfte der 3,3 Millionen Autos reduziert. Ja selbst die vermeintliche Verbissenheit der unterdrückten normalen Menschen mit ihrem nicht nur stillen Protest gegen das riesige, zur Propaganda-Show genutzte Sportfest war kaum zu spüren. China und seine Bevölkerung erwiesen sich als herzliche und stimmungsvolle Gastgeber. Einzig das Wetter störte ab und an mit all seinen nicht zu beeinflussenden Möglichkeiten. Es war heiß, und die Hitze sowie die hohe Luftfeuchtigkeit wurden vor allem am Kanu- und Ruderkanal durch heftige Gewitter zusätzlich dramatisiert.
Ausgerechnet in der Nacht, als in Peking die Olympischen Spiele eröffnet wurden, begann jedoch im Kaukasus ein Krieg zwischen Georgien und Russland um die Provinz Südossetien, die sich Russland zugehörig fühlte, aber von Georgien, einem NATO-Kandidaten, beansprucht wurde. Während also in China eine bestaunte, bunte und technisch grandiose Feier der Weltjugend lief, bekriegten sich knapp 6000 Kilometer entfernt zwei Armeen. Der Konflikt kostete schließlich rund 850 Menschenleben. Der Präsident Russlands, der diesen Krieg auf der einen Seite befehligte, hieß damals übrigens Dimitri Medwedew. Er hatte im März 2008 mit Wladimir Putin die Ämter getauscht, war vom Stuhl des obersten Ministers auf den Thron des Staatschefs gewechselt und Putin anders herum. Dieser abgesprochene Wechsel diente der erneuten Thronbesteigung Putins im Jahre 2012. Er hatte laut Verfassung Russlands nur zwei Amtsperioden regieren dürfen, brauchte also eine Pause.
In Deutschland, wo ab Januar in den ersten acht Bundesländern das Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen galt, erhoffte man sich derweil von Olympia eine Rückkehr in den Kreis der bedeutenden Sportnationen. Verstärkung kam von Zuwanderern. Im 435-köpfigen Aufgebot für Peking standen 38 Sportlerinnen und Sportler, die nicht zwischen Oder und Rhein geboren worden sind. Mit 16 Siegen, 10 zweiten Plätzen und 15 Bronze-Rängen kletterte die Auswahl auch wieder auf Platz fünf hinter China (51/21/28), den USA (26/38/36), Russland (23/38/36) und dem langsam für seine Londoner Spiele 2012 aufrüstenden Großbritannien (19/13/15). Die Super-Stars von Peking kamen aus den USA und Jamaika. US-Darling Michael Phelps schwamm gleich acht Mal allein und mit Staffel-Kollegen vorneweg. Show-Sprinter Usain Bolt degradierte auf der Kunststoffbahn des wegen seiner äußeren Verkleidung "Vogelnest" genannten Olympiastadions seine Konkurrenz gleich dreimal zu Schnecken. Phelps und Bolt zeichneten zudem für zehn der insgesamt 45 Weltrekorde dieser Spiele verantwortlich.
Endlich ging für Deutschland auch wieder ein Gold-Fisch ins Schwimmbecken. Und wieder hatte Potsdam zumindest einen großen Anteil daran. Britta Steffen, die in Peking zweimal zur besten Freistil-Sprinterin der Welt aufstieg, stammt aus Schwedt, startete für Berlin, erhielt jedoch den größten Teil ihrer leistungssportlichen Ausbildung beim OSC Potsdam von Trainer Mathias Pönisch. Doch das war's auch schon mit den deutschen Wasserratten, Steffen blieb die einzige Medaillengewinnerin im blau glitzernden Rekord-"Wasserwürfel" von Peking für Deutschland. Bei den Leichtathleten sah es sogar noch düsterer aus. Einzig Speerwerfern Christina Obergföll bekam eine Medaille. Ihre Bronzene sorgte für die magerste Ausbeute der Deutschen seit vielen Jahren - gefühlt seit Menschengedenken - im stimmungsgeladenen, riesigen Olympiastadion.
Erstaunlich dünn lief es auch für die Deutschen auf der Regattastrecke von Shunyi. Die Ruderer, von denen acht aus der Potsdamer Rudergesellschaft kamen, schafften es erstmals seit einem halbe Jahrhundert nicht mehr auf die oberste Stufe des Ehrungstreppchens. Die Männer blieben gleich ganz medaillenlos. Besonders bedrückend, dass das Flaggschiff, der Deutschland-Achter, nicht einmal das Finale erreichte. Die Frauen hatten immerhin einmal Silber und einmal Bronze aufzuweisen. Bei den Kanuten musste das Potsdamer Duo Ronald Rauhe und Tim Wieskötter im Kajak-Zweier über 500 Meter seine erste Niederlage seit acht Jahren hinnehmen, bekam aber immerhin Silber. Dafür sorgten die Kanu-Damen für eine der rührendsten Szenen am Kanal. Als nämlich der Kajak-Vierer seine Goldfuhre beendet und jubelnd wieder angelegt hatte, stand die bis vier Jahre zuvor noch die Szene beherrschende Disziplin-Königin Birgit Fischer am Ufer, um glücksstrahlend ihre Nichte Fanny Fischer in die Arme zu schließen. Fanny, Tochter vom mehrfachen Kanu-Weltmeister Frank Fischer und Schwimm-Olympiasiegerin Sarina Hülsenbeck, hatte gerade zusammen mit ihrer Klubkameradin Katrin Wagner-Augustin sowie Nicole Reinhardt (Lampertheim) und Conny Waßmuth (Magdeburg) die Gold-Tradition der Fischer-Dynastie fortgesetzt.
Zu den insgesamt 22 Potsdamern gehörten endlich auch wieder drei Leichtathletinnen. Nun gut, die ganz großen Meriten konnten Geherin Melanie Seeger, Antje Möldner und Claudia Hoffmann nicht erringen, aber immerhin setzten sie allein mit ihrem Dasein wieder Achtungszeichen.
Potsdamer Olympiateilnehmer 2008 in Peking:
Leichtathletik:
- Antje Möldner - 3000 Meter Hindernis: Halbfinale
- Claudia Hoffmann - 4mal 400 Meter-Staffel: Platz 8
- Melanie Seeger - 20 Kilometer Gehen: Platz 22
Kanurennsport:
- Katrin Wagner-Augustin Einer-Kajak - Bronze; Vierer-Kajak: Gold
- Fanny Fischer - Zweier-Kajak: Platz 4; Vierer-Kajak: Gold
- Ronald Rauhe - Zweier-Kajak, 500 Meter: Silber
- Tim Wieskötter - Zweier-Kajak, 500 Meter: Silber
- Lutz Altepost - Vierer-Kajak, 1000 Meter: Bronze
- Torsten Eckbrett - Vierer-Kajak, 1000 Meter: Bronze
- Sebastian Brendel - Canadier-Ersatzmann
Rudern:
- Christiane Huth - Doppelzweier: Silber
- Kathrin Boron - Doppelvierer: Bronze
- Stephanie Schiller - Doppelvierer: Bronze
- Juliane Domscheidt - Ersatzfrau
- Clemens Wenzel - Doppelzweier: Platz 9
- Karsten Brodowski - Doppelzweier: Platz 9
- Hans Gruhne - Doppelvierer: Platz 6
- Falko Nolte - Ersatzmann
Judo:
- Yvonne Bönisch - Gewichtsklasse bis 57 kg: Platz 9
Schwimmen:
- Jaana Ehmke - 800 Meter Freistil: Platz 25; 400 Meter Freistil: Platz 25
Fußball:
- Anja Mittag - Frauen-Fußball: Bronze
- Babett Peter - Frauen-Fußball: Bronze
Weitere Teilnehmer mit Potsdamer Hintergrund:
Leichtathletik:
- Sabine Zimmer-Krantz - 20 Kilometer Gehen: Platz 14
Rudern:
- Jekaterina Karsten - Einer: Bronze
Schwimmen:
- Britta Steffen - 50 Meter Freistil: Gold; 100 Meter Freistil: Gold; 4mal 100 Meter Freistil: Platz 5; 4mal 100 Meter Lagen: Platz 9
- Benjamin Starke - 100 Meter Schmetterling: Platz 44; 4mal 100 Meter Freistil: Platz 15; 4mal 200 Meter Freistil: Platz 12
Segeln:
- Ingo Borkowski - Starboot: Platz 7
- Ulrike Schümann - Yngling-Klasse: Platz 4
Volleyball:
- Stephanie Pohl - Beachvolleyball: Platz 9
Fussball:
- Nadine Angerer - Frauenfußball: Bronze
- Lira Bajramaj - Frauenfußball: Bronze
- Ariane Hingst - Frauenfußball: Bronze
- Conny Pohlers - Frauenfußball: Bronze
Judo:
- Heide Wollert - Gewichtsklasse bis 78 kg: Platz 7
- Sandra Köppen - Gewichtsklasse +78 kg: Platz 14
Triathlon
- Christian Prochnow - Olympische Distanz: Platz 15
Quelle: www.sports-reference.com; "Märkische Allgemeine Zeitung"