Geschichten über Potsdamer Olympioniken: Die Euphorie schwindet

Potsdamer Olympioniken, Folge 11

Text: Horst Sperfeld

Geschichten über Potsdamer Olympioniken: Die Euphorie schwindet

Potsdamer Olympioniken, Teil 11

Barcelona 1992

Olympische Spiele, das war für den Sport-Fan der DDR immer etwas ganz Besonderes. Er fieberte millionenfach mit seinen Helden wie wohl kaum anderswo auf dieser Welt. Ja sogar diejenigen, die mit ihrem heimatlichen Staat nicht viel am Hut hatten, wandelten sich bei solchen Anlässen oft zu nationalen Patrioten. Vor weltsportlichen Höhepunkten gab es meist Verabschiedungs-Wettkämpfe, bei denen die ansonsten mehr im Verborgenen trainierenden Asse dem heimischen Publikum ganz nah gebracht wurden. Die Zaungäste kamen in Scharen, feierten euphorisch ihre mal wieder weit in den unerreichbaren Westen reisenden, sportlichen Identifikationsfiguren. Und das oft entgegen dem eigenen Unmut über das sonstige, eingeengte Leben im realen Sozialismus. Gerade das Stadion Luftschiffhafen in Potsdam geriet vielfach zur großen, mit heißblütigen Zuschauern gefüllten Bühne solcher manchmal rekordträchtigen Spektakel, in diesem Falle der Leichtathletik.

Das war 1992 längst vorbei. Auch zu Leichtathletik-Veranstaltungen kamen kaum noch Zuschauer, wenn es sich nicht gerade um das große, mit viel Geld und ausländischen Stars aufgepäppelte Internationalen Stadionfest (Istaf) im Olympiastadion von 1936 im ehemaligen Westberlin handelte. Die eigenen sportlichen Größen interessierten nach dem Fall der Mauer und der deutschen Vereinigung nicht mehr viel. Ja sie waren zum Teil sogar Angriffsziele geworden wegen ihrer vermeintlichen Privilegien im vergangenen DDR-Alltag. Einige der vormals gefeierten Helden verließen ihre Heimat in Richtung Westen und das nicht nur, weil sie dort die eine oder andere Mark mehr verdienen konnten.

Auch im Großen war eine Olympia-Müdigkeit zu spüren. Der Kampf der Systeme, im Sport akzeptiert und motivierend, war verschwunden. Die DDR gab es nicht mehr. Auch die riesige Sowjetunion zerfiel gerade, trat nur noch als Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) auf. Lediglich in den USA, die gerade stark in den selbst vom Zaun gebrochenen Irak-Krieg eingebunden war, frohlockte man nach den sportlichen Demütigungen früherer Olympischer Spiele. 1976 und 1988 hatten schließlich die Sportler der nun endlich verschwundenen, kleinen DDR mehr Medaillen erobert als die aus dem gelobten Lande Nordamerikas. William Hybl, der in Barcelona die knapp 540 Sportler umfassende Mannschaft der Vereinigten Staaten als Delegationsleiter anführte, verkündete großspurig: "Unsere Beharrlichkeit in der Politik hat sich ausgezahlt. Jetzt werden wir auch im Sport die Verhältnisse zurecht rücken." Nun gut, auf Platz eins der Medaillenwertung kam seine Vertretung immer noch nicht, aber immerhin auf Rang zwei vor den vereinigten Deutschen, die noch vom Knowhow des DDR-Sports profitierten. Vorn blieb die "Equipe Unitée" (EUN), wie das Internationale Olympische Komitee die Mannschaft der GUS-Staaten bezeichnete.

In Deutschland war man sich noch nicht so ganz einig, wie es mit dem Leistungssport weiter gehen sollte. Dennoch, die verblassenden Strahlen des  "eingemeindeten" Leistungssports der DDR wollte man schon noch aufblitzen lassen, ehe man das alte System völlig an den Doping-Pranger zu stellen gedachte. Mit 463 nominierten Athleten stand man in Barcelona zahlenmäßig den USA (537) und GUS (EUN/472) kaum nach. Die durch die politische Wende zu unerwartetem Leistungszuwachs gekommene (west-)deutsche Sportführung und mit ihr die Bundesregierung durfte sich denn auch über 33 Goldmedaillen, 21 Silberne und 28 Bronzene freuen. Einheitskanzler Helmut Kohl ließ es sich nicht nehmen, sich im glitzernden Licht vom Leipziger Gewandhaus mit den vielen sportlichen Größen bei Sekt und Schnittchen ablichten zu lassen.

Für die Potsdamer sah das Ganze nicht mehr so rosig aus. Sie hatten nur noch 14 Aktive im olympischen Geschehen dabei, später sollten es noch weniger werden. Den Armeesportklub im Luftschiffhafen gab es nicht mehr, nachfolgende Vereine steckten noch in den Kinderschuhen und mussten erst neue Wege zum Erhalt des Leistungssports finden. Das traf ebenso auf die SG Dynamo Rudern im Seekrug zu, die sich als Potsdamer Ruder-Gesellschaft neu gegründet hatte. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang, dass 1992 die Schwimmer des jungen "Olympischen Sportclubs Luftschiffhafen" (OSC) mit fünf Teilnehmern die zweitgrößte Riege der Potsdamer Vereine hinter den Ruderern (7, davon 1 als Ersatz) ins Rennen schickten. Jörg Hoffmann war der Hoffnungsträger. In einem Weltrekord-Rennen über 1500 Meter Freistil, das der Australier Kieren Perkins dominierte, wurde der gebürtige Schwedter, der als Weltmeister angetreten war, großartiger Dritter. Seine Langstrecken-Trainingsgefährtin Jana Henke sicherte sich über den längsten Kanten der Frauen, die 800 Meter Freistil, ebenfalls Bronze.

Bei den Ruderern fing eine lange schillernde Blume an zu blühen. Kathrin Boron aus Brandenburg holte sich zusammen mit ihrer Vereinsgefährtin Kerstin Köppen ihre erste olympische Goldmedaille, es sollten im nächsten Jahrzehnt noch einige folgen. Mit Birgit Peter fuhr eine noch vier Jahre zuvor für Potsdam gestartete Skullerin im Doppelvierer für Karlsruhe zum Sieg, Steuerfrau Daniela Neunast für Dortmund. Drei von Potsdam nach Spanien gereiste Kanuten starteten hingegen noch für ihr altes Umfeld. Kay Bluhm und Torsten Gutsche, daheim trainiert vom einstigen Slalom-Olympiasieger Rolf-Dieter Amend, avancierten zum überragenden Kajak-Duo, distanzierten die Konkurrenz sowohl über 500 wie über 1000 Meter. Birgit Schmidt-Fischer, mittlerweile 30 Jahre alt und zweifache Mutter, schaffte es im Einer erneut auf den Thron und bekam im Vierer Silber. Wegen beruflicher Perspektiven aus Potsdam abgewandert waren die Canadier-Spezialisten Ingo Spelly und Ulrich Papke. Die Goldmedaille über 1000 Meter sowie die silberne über 500 Meter gingen deshalb auf das Konto des SC Magdeburg.

Und was blieb von den einst so erfolgreichen Potsdamer Leichtathleten? Einzig Kugelstoßer Udo Beyer, mittlerweile im sportlichen Methusalem-Alter von 37 Jahren, hatte sich aus dem längst verkündeten Ruhestand noch einmal aufgerafft und mühevoll auf Olympia vorbereitet. Doch selbst die Tatsache, dass er mit seinem jüngsten Schwesterchen Gudrun die mittlerweile vierte "Olympionikin" des Eisenhüttenstädter Beyer-Clans als Physiotherapeutin im großen Team wusste, half nichts. Der große Mann der schweren Kugeln, der auch im politischen Wandel seinen breiten Rücken den Kritikern für andere gleich mit hingehalten hatte, scheiterte im Vorkampf. "Ich wollte noch einmal Bäume ausreißen, doch nun ist alles vorbei. Als Olympiasieger und Ex-Weltrekordler hat mir der Sport viele schöne Stunden gegeben, aber Barcelona offenbarte schonungslos: Udo, es hat keinen Zweck mehr", lautete seine Selbsteinschätzung in einem Brief an die Märkische Allgemeine Zeitung. Udo Beyer, der als "letzter Mohikaner" seinen Kopf für die Potsdamer Leichtathletik hinhielt, hätte einen anderen Abgang verdient gehabt.  

Potsdamer Olympiateilnehmer 1992 in Barcelona:

Leichtathletik:

  • Udo Beyer - Kugelstoßen: nach Vorkampf ausgeschieden

Kanurennsport:

  • Birgit Schmidt-Fischer - Einer-Kajak: Gold; Vierer-Kajak: Silber
  • Kay Bluhm - Zweier-Kajak, 500 Meter: Gold
  • Torsten Gutsche - Zweier-Kajak, 1000 Meter: Gold

Schwimmen:

  • Sebastian Wiese - 400 Meter Freistil: Platz 6
  • Jörg Hoffmann - 1500 Meter Freistil: Bronze
  • Andreas Szigat - 4mal 200 Meter Freistil: Platz 4
  • Jana Henke - 800 Meter Freistil: Bronze
  • Jana Dörries - 100 Meter Brust: Platz 5; 200 Meter Brust: nach Vorlauf ausgeschieden; 4mal 100 Meter Lagen: Silber

Rudern:

  • Kathrin Boron - Doppelzweier: Gold
  • Kerstin Köppen - Doppelzweier: Gold
  • Jens Köppen - Doppelzweier: Platz 8 nach B-Finale
  • Hendrik Reiher - Vierer mit: Silber (Steuermann)
  • Thoralf Peters - Vierer mit: Silber
  • Detlef Kirchhoff - Achter: Bronze
  • Michaela Schmidt - Ersatzfrau

Weitere Teilnehmer mit einem Potsdamer Hintergrund:

Leichtathletik:

  • Jens-Peter Herold - 1500 Meter: Platz 6 (für SCC Berlin)
  • Ronald Weigel - 50 Kilometer Gehen: Bronze (für LAC Berlin Halensee)
  • Uta Pippig - 10000 Meter: Platz 7 (für SCC Berlin)
  • Katrin Born - 10 Kilometer Gehen: Platz 33 (für SC Berlin)

Kanurennsport:

  • Ulrich Papke - Zweier-Canadier, 500 Meter: Silber (für SC Magdeburg); Zweier-Canadier, 1000 Meter: Gold (für SC Magdeburg)
  • Ingo Spelly - Zweier-Canadier, 500 Meter: Silber (für SC Magdeburg); Zweier-Canadier, 1000 Meter: Gold (für SC Magdeburg)

Rudern:

  • Birgit Peter - Doppelvierer: Gold (für Karlsruhe)
  • Daniela Neunast - Achter: Bronze (für Dortmund)
  • Ralf Brudel - Vierer mit Steuermann: Silber (für Berlin-Grünau)

Schwimmen:

  • Patrick Kühl - 400 Meter Lagen: Platz 6 (für SC Magdeburg)

Turnen:

  • Ralf Büchner - Mehrkampf Mannschaft: Platz 4 (für Hannover)

Fechten:

  • Ingo Weißenborn - Florett Mannschaft: Gold (für Tauberbischofsheim)

Segeln:

  • Thomas Flach - Soling-Klasse: Platz vier

Quelle: Volker Kluge, "Olympische Sommerspiele, Die Chronik", Sportverlag Berlin, "Märkische Allgemeine Zeitung"