Fremde in Potsdam - Zur Rolle der Ausländer in der Geschichte der Stadt

Von Prof. Dr. Ulrich Schmelz

    1. Was ist Potsdam aus historischer Sicht

     Im Jahre 1993 feierte die Stadt Potsdam das Millenium der urkundlichen Ersterwähnung unter dem Namen "Potztupimi". Denn laut einer alten Urkunde schenkte König Otto III. im Jahre 993 seiner Tante Mathilde, Äbtissin eines Klosters in Quedlinburg am Harz, die slawischen Orte „Potztupimi et Geliti“ (also Potsdam und Geltow), um die Einkünfte des Klosters zu verbessern. Somit gab es also anfangs nur „Ausländer“ in "Potztupimi/Potsdam".

    Erst 150 Jahre später kamen deutsche Siedler in die Gegend von Potsdam, bestimmten den Gang der Entwicklung und nahmen die Mehrheit der bodenständigen, zahlenmäßig geringeren slawischen Bevölkerung allmählich in sich auf.

    Als im Jahre 1660 Potsdam durch den Großen Kurfürsten neben Berlin zur zweiten Residenz der brandenburgisch-preußischen Herrscher erhoben wurde, begann die eigentliche Entwicklung jenes Potsdams, das in der Welt einen bedeutenden - wenn auch ambivalenten - Namen hat.

    Im Verlaufe von gut 250 Jahren war Potsdam zunächst im 17. Jahrhundert die Residenz der Kurfürsten von Brandenburg, dann im 18./19. Jahrhundert der Könige von Preußen und schließlich Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts der Kaiser des 2. Deutschen Reiches. Aufbau und Ausbau, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Stadt Potsdam waren in dieser ganzen Zeit neben wichtigen inneren Kräften immer auch wesentlich vom Wirken ausländischer Einflüsse und Menschen geprägt.

    Seit dem Ende der Monarchie im Jahre1918 ist Potsdam - mit Ausnahme der Zeit von 1952 bis 1990, wo es eine DDR-Bezirkshaupstadt war - die Hauptstadt des Landes Brandenburg. Die Zahl der Ausländer ist in dieser Zeit meist relativ gering gewesen, jedoch ist ihre Bedeutung nicht gering zu schätzen.

    2. Wo haben Ausländer in den letzten vier Jahrhunderten ihre Spuren hinterlassen?

    Im 17. Jahrhundert ließ vor allem der Große Kurfürst zunächst in Potsdams Mitte ein ansehnliches Schloß mit Lustgarten, dann aber auch stattliche Lustschlösser rings um die Stadt errichten. Seit wenigen Jahren vermittelt die wiederhergestellte Anlage von Schloß und Park Caputh den Besuchern einen überzeugenden Eindruck vom erfolgreichen Zusammenwirken besonders deutscher, niederländischer und französischer Architekten, Kunsthandwerker und Gartenkünstler in jener Zeit.

    Die Versorgung der Residenz und der umliegenden Jagd- und Lustschlösser verlangte eine stabile und attraktive Marktversorgung. Wozu die deutschen Bauernwirtschaften nicht in der Lage waren, das bewerkstelligten ausländische Spezialisten. So entstanden ab 1684 neben der Residenz die drei Schweizer Kolonistendörfchen Nattwerder, Neu Töplitz und Neu Golm, die neben Fleisch und Milch auch besondere Käsespezialitäten liefern konnten. Die kleine Kirche von Nattwerder und der umliegende Friedhof  mit den Grabsteinen Schweizer Kolonisten erinnern noch heute an diese Vorgänge.

    Als Anfang des 18. Jahrhunderts König Friedrich Wilhelm I., der "Soldatenkönig", Potsdam zur Garnisonstadt machte, mußten die Hausbesitzer als Quartiergeber zahlreicher werden sowie  Handel und Handwerk wegen der Versorgung der Truppen einen bedeutenden Aufschwung nehmen. Da die bodenständige Bevölkerung weder nach Menge noch nach Befähigung ausreichte, wurden für fleißige und talentierte Ausländer besondere Privilegien ausgelobt, um sie nach Potsdam zu ziehen.

    Für französische Hugenotten - Handwerker, Künstler, Wissenschaftler und Soldaten - wurde ab 1720 ein großes "Französisches Quartier" mit einer eigenen Französisch-Reformierten Kirche gebaut. Diese Franzosen waren Nachkomen jener Réfugies, die Ludwig XIV. ihres reformierten Glaubens wegen aus Frankreich vertrieben hatte und die durch das „Edikt von Potsdam“ (1685) in Brandenburg Aufnahme fanden. Die von Knobelsdorff erichtete Kirche im Pantheonstil erinnert noch heute daran, daß damals ungefähr jeder fünfte Potsdamer ein Franzose war.

    Um möglichst viele geschickte niederländische Handwerker - Maurer, Zimmerleute und Wasserbauspezialisten sowie Kunsthandwerker und Künstler - anzuziehen, wurde ab 1733 in nur zehn Jahren ein großer Stadtteil im holländischen Backsteinbaustil errichtet. In diesem „HolländischenViertel“, das heute wegen seiner Einmaligkeit unter dem Schutz der UNESCO steht, lebten lange Zeit ausschließlich ausländische Handwerker und Soldaten.

    Um die ganze Wirtschaft in Schwung zu bringen, wurden in anderen Ländern verfolgte jüdische Kaufleute und Manufakturisten mit besonderen Privilegien versehen, so daß in Potsdam ab 1730 eine bedeutende jüdische Gemeinde entstand. Daran erinnert heute noch der alte jüdische Friedhof hinter dem Kapellenberg (damals Judenberg genannt).

    Kurze Zeit nach seiner Thronbesteigung im Jahre 1740 begann Friedrich II. mit dem Schloß und dem Park Sanssouci Kleinode des friderizianischen Rokoko zu schaffen. Baumeister, Bauhandwerker und Künstler kamen aus verschiedenen deutschen Ländern, daneben aber besonders auch aus Frankreich und den Niederlanden. Die großartigen Marmorstatuen rund um die Große Fontäne z. B. sind ausschließlich von französischen Bildhauern gefertigt worden. Schon nach wenigen Jahren standen im Park von Sanssouci neben dem Weinbergschloß, der Bildergalerie, den Neuen Kammern und dem Neuen Palais auch phantastische Architekturimporte im Geschmack jener Zeit: der ägyptische Obelisk und die Sphingen, das chinesische Teehaus, das japanische Drachenhaus, antike Tempel oder das römische Belvedere auf dem Klausberg.

    Parallel dazu ließ Friedrich II., nun schon der Große genannt, die schlichte Soldatenstadt Potsdam, die sein Vater hinterlassen hatte, in eine königliche Stadt mit internationalem Flair umbauen. Besonders der Deutsche von Knobelsdorff, der Holländer Jan Boumann und der Nachkomme französischer Immigranten Carl von Gontard schufen eine der schönsten Barockstädte Mitteleuropas, deren Hauptgebäude mit Fassadenkopien aus Italien, Frankreich, den Niederlanden und England geschmückt wurden. Die ausführenden Spezialhandwerker - Stukkateure, Vergolder, Marmorierer, Intarsienleger, Seidentapetenweber u.v.a. - kamen aus vielen Ländern Europas und wohnten vor allem im Holländischen Viertel. Noch heute erfreuen wir uns am Marstall, am Alten Rathaus, an den Hiller-Brandtschen Häusern, den mehrstöckigen Holländischen Häusern am Bassinplatz oder dem Nauener und dem Brandenburger Tor.

    Zu wirtschaftlicher Blüte gelangte damals die Manufakturstadt Potsdam nicht zuletzt durch die Tätigkeit belgischer Handwerker in der „Gewehrfabrique“, Schweizer Seidenbandweber und „Tobackspinner“ oder böhmischer Kattunweber in Nowawes, dem „Etablissement bey Potsdam“.

    Im 19. Jahrhundert nahm die Zahl der ausländischen Zuwanderer relativ ab, aber es stieg die Zahl der Architekturzitate aus aller Welt. So setzte Friedrich Wilhelm III. ab 1826 mit dem russischen Soldatendörfchen „Alexandrowka“ der preußisch-russischen Waffenbrüderschaft im Kampf gegen Napoleon ein eindrucksvolles Denkmal, das dazu noch von russischen Soldaten in preußischem Dienst bewohnt und mit einer russischen Kapelle ergänzt wurde. Auch ließ er Friedrich Schinkel, den größten Baumeister Preußens im 19. Jahrhundert, ab 1830 mit der Nicolaikirche nach römischem Vorbild einen großartigen Kirchenbau ins Zentrum der Stadt setzen.

    Sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm IV., bemühte sich darum, ein „Italien an der Havel“ zu schaffen. Davon beeindrucken uns heute noch Schloß Charlottenhof im Stil einer römischen Villa, die Große Orangerie von Sanssouci, mehrere Kirchen im toskanischen Stil, so die Friedenskirche am Park Sanssouci, die Dorfkirche von Bornstedt oder die Heilandskirche am Port von Sacrow. Aus Anlaß der Bundesgartenschau 2001 in Potsdam wird auch der Westturm des Belvederes auf dem Pfingstberg wieder dazu kommen.

    Außerdem entstanden im 19. Jahrhundert in Potsdam eine Pumpenstation zur Versorgung der Fontänen im Park Sanssouci in Gestalt einer Moschee, das Kaiserschloß Babelsberg in der Gestalt eines englischen Landschlosses oder die kaiserliche Schiffsstation „Kongsnaes“ in Gestalt eines norwegischen Holzhauses. Während die beiden erstgenannten Gebäude zu den Attraktionen Potsdams zählen, bemüht sich ein Förderverein z. Z. noch um die Rekonstruktion von „Kongsnaes“ in der Schwanenallee nahe der Glienicker Brücke.

    Das Industriezeitalter, das im 19. Jahrhundert noch einen Bogen um die Residenzstadt gemacht hatte, erreichte Potsdam im 20. Jahrhundert doch, wenn auch vor allem in seinen äußeren Bezirken. Als von 1900 bis 1906 der Teltowkanal am Rande von Potsdam entlanggeführt wurde, verrichteten Tausende ausländischer Arbeitskräfte aus Ost- uns Südosteuropa sowie aus Italien vor allem die schweren Handarbeiten.

    Die industrielle Entwicklung in der 1938 nach Potsdam eingemeindeten Stadt Nowawes - in der vor allem Textilien, Lokomotiven, Schallplatten und Spielfilme produziert wurden -  war ohne zahlreiche Arbeiter besonders aus Polen nicht denkbar. Die Kriegsproduktion im zweiten Weltkrieg nutzte die Arbeitskraft vieler Tausender ausländischer Zwangsarbeiter auch in Potsdam aus.

    In der Zeit der DDR arbeiteten zeitweise in hiesigen Industriebetrieben sogenannte „Vertragsarbeiter“ aus Vietnam, Kuba, Mosambik u. a. Ländern, die laut damaligen Regierungsabkommen nach drei bis fünf Jahren in ihre Herkunftsländer zurückkehren sollten. Infolge der politischen Wende 1989/90 blieben mehrere Dutzend von ihnen auch in Potsdam, von denen einige sich hier gut integrieren konnten.

    Die Filmstadt Potsdam-Babelsberg lebte seit ihrem Entstehen um 1920 ganz wesentlich vom Können internationaler Stars, aber auch ausländischer Filmtechniker und -produzenten. Das war so in der Zeit der Ufa bis 1945 und in der Zeit der Defa während der DDR-Zeit, das ist auch heute noch so.

    3. Welche prägenden Einflüsse von Ausländern gibt es in Potsdam heute?

     Die Landeshauptstadt Potsdam hat seit 1990 einen bedeutenden Umbruchs- und Neugestaltungsprozeß erlebt, der - vor allem durch die besondere Förderung im Rahmen der EU bedingt - ganz wesentlich auch von Menschen aus zahlreichen anderen Ländern der EU und darüber hinaus mit gestaltet worden ist.

    So gehen z. B. der Bau einer Seniorenresidenz in der äußeren Gestalt der ehemaligen Heiligengeistkirche im Stadtzentrum und der Bau einer neuen Kirche im neuen Stadtteil Kirchsteigfeld auf italienische Architekturentwürfe zurück. Der Bau zweier Schulen im Kirchsteigfeld in holländischem Backsteinbaustil wurde von Architekten und Baufirmen aus den Niederlanden ausgeführt. Die Entwicklung der neuen Universität Potsdam, der Fachhochschule und mehrerer weiterer wissenschaftlicher Institute seit 1990/91 war nur durch die Mitwirkung zahlreicher Wissenschaftler, Techniker und Spezialisten aus vielen Ländern möglich.

    Am auffälligsten für die Bewohner und die Gäste Potsdams sind die zahlreichen Ausländer, die in der Gastronomie, im Tourismus und im Kleinhandel tätig sind, unter diesen vor allem die verhältnismäßig große Zahl von Vietnamesen und Türken.

    Nicht zu übersehen im öffentlichen Leben der Stadt sind einige hundert Menschen mit russischer Muttersprache. Seit 1993/94 hat sich hier die Jüdische Gemeinde des Landes Brandenburg K.d.ö.R. gebildet, deren Mitglieder fast ausschließlich aus den Staaten der GUS gekommen sind. Von den insgesamt etwa 700 Mitgliedern dieser Gemeinde leben zur Zeit über 200 in der Stadt Potsdam.