Die Opfer des Mauerbaus nicht vergessen

Liebe Potsdamerinnen und Potsdamer,

Mauern trennen. Sie schaffen ein Hüben und Drüben, sie schließen aus und sie schließen ein. Die Berliner Mauer, die am Montag vor 51 Jahren gebaut wurde und Potsdam von West-Berlin abschloss, war eine solche Mauer. Sie hat Menschen getrennt. Menschen, die sich kannten. Menschen, die sich mochten. Menschen, die zusammengehörten. Eine schmale, brutal durch das Land getriebene Wunde, deren Narben heute zwar nur noch an wenigen Punkten offensichtlich zu Tage treten, deren emotionale und psychologische Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger beiderseits der ehemaligen Mauer aber bis heute unverkennbar sind und dies auch noch lange bleiben werden.

Wenn man sich mit der Geschichte der Mauer in Potsdam beschäftigt, trifft man auf dramatische Erlebnisse und tragische Schicksale. Schon bald nach der Grenzschließung am 13. August 1961 gab es eine ganze Reihe von Potsdamern, die sich der Beschränkung ihrer Freiheit nicht fügen wollten. Wie auch von auswärts kommende Fluchtwillige versuchten sie, die Havel und ihre Seen zum Westberliner Ufer zu durchschwimmen. Doch dieser anscheinend einfachste Fluchtweg wurde manchem zum Verhängnis. So erlitt der 19-jährige Grenzsoldat Lothar Lehmann einen Kälteschock, als er am 26. November 1961 vom Sacrower Ufer den Jungfernsee durchschwimmen wollte und starb auf dem Weg ins Lazarett. Auf der gleichen Strecke ertrank die 53-jährige Erna Kelm, ihre Leiche wurde im Juli 1962 bei Nikolskoe angeschwemmt. Der 23-jährige Potsdamer Horst Plischke wurde im März 1963 beim Durchschwimmen des Jungfernsees von einem Grenzboot aus erschossen.

Das sind nur einige wenige von mehr als 20 Mauertoten im Gebiet der heutigen Landeshauptstadt Potsdam, die ihr Leben auf brutale Weise verloren. Wir gedenken ihrer. Wir halten inne. Denn wir wollen nie vergessen, dass ein unmenschliches Regime nicht geduldet werden darf. Wo auch immer Freiheit beschnitten und Menschen ihrer Rechte beraubt werden, müssen wir dem kraftvoll entgegentreten.

Zusammen mit der Fördergemeinschaft Lindenstraße 54 werden wir am 13. August mit einer Gedenkveranstaltung an der Glienicker Brücke an die Schandmauer erinnern. Und wir weihen die permanente Markierung des ehemaligen Grenzstreifens zur Erinnerung an die Opfer und das Unrecht der deutschen Teilung ein. Außer den Mauertoten waren es 7000 Menschen, die im Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit in der Lindenstraße inhaftiert waren. Allein wegen Republikflucht wurden insgesamt 71.000 Freiheitsstrafen verhängt.

Das Untersuchungsgefängnis in der Lindenstraße ist einer dieser Erinnerungsorte, die noch ein authentisches Geschichtserlebnis ermöglichen. Ich bin froh, dass es jetzt gelungen ist, mit Hilfe des Landes die Arbeit in der Lindenstraße auszubauen und damit Erinnern auf lange Zeit zu sichern. Viele Jugendliche wissen heute kaum mehr etwas von der Mauer und ihrer Geschichte. In der Lindenstraße können wir den Schülerinnen und Schülern diese Zeit erlebbar machen.

Ich bin der Überzeugung, dass es enorm wichtig ist, dass diese Erinnerung lebendig bleibt. Dass sie nicht immer unschärfer wird. Dass sie keine bloße Spukgeschichte war. Sondern dass wir mahnen müssen, weil sich verbrecherische Staaten unmenschlicher Handlungen bedienen. Daran zu erinnern, sind wir den Opfern des Mauerbaus schuldig.

Ihr

Jann Jakobs


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