Der mit 5.000 Euro dotierte Potsdamer Nachwuchswissenschafts-Preis geht in diesem Jahr an Dr. Nico Wunderling für seine wissenschaftlich herausragenden und gesellschaftlich höchst relevanten Arbeiten zum Verständnis der komplexen Prozesse des Klimawandels. Dr. Nico Wunderling hat an der Universität Potsdam und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) mit einer Stelle in einem internationalen Doktorandenkolleg und einem Promotionsstipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes promoviert. Seine exzellente Dissertation wurde mit dem Prädikat summa cum laude bewertet.
Die Landeshauptstadt Potsdam zeichnet mit dem Preis junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Region Potsdam für besondere Leistungen am Beginn ihrer wissenschaftlichen Laufbahn aus. So soll das Ansehen Potsdams als Stadt einer lebendigen und zukunftsorientierten Wissenschaft weiter gefestigt werden. Oberbürgermeister Mike Schubert: „Es passt daher sehr gut, dass erneut eine Arbeit aus dem Bereich der aktuellen Klimafolgenforschung ausgewählt wurde, die den Wissenschaftsstandort Potsdam repräsentiert und die die auf dem Telegrafenberg geleistete exzellente und weltweit anerkannte Forschungsarbeit verdeutlicht.“
Prof. Ralf Engbert begründet die Entscheidung der Jury: „Im Zentrum der Arbeiten von Dr. Wunderling stehen die Kippelemente des Klimasystems der Erde, zu denen z.B. der Verlust der Eisschilde, die Abschwächung der Atlantischen Umwälzzirkulation und der Abbau des Amazonas-Regewaldes gehören. Durch komplexe Simulationen und Analysen hat Herr Dr. Wunderling untersucht, inwieweit das Überschreiten einzelner Kipppunkte zu weiteren Instabilitäten führen kann, wodurch Kippkaskaden oder Domino-Effekte ausgelöst werden könnten – mit gravierenden Folgen für den Klimawandel. Dazu musste eine anspruchsvolle Kombination von Netzwerkanalysen, prozessbasierter Modellierung und Analysen der nichtlinearen Dynamik eingesetzt werden. Die erzielten wissenschaftlichen Arbeiten während seiner Promotion - allein sieben als Erstautor - wurden in den renommiertesten internationalen Fachzeitschriften (wie PNAS, Nature Communications, Earth System Dynamics) publiziert. Die Ergebnisse von Herr Dr. Wunderling bilden unter anderem die Grundlage für bessere Risikoabschätzungen zu Domino-Effekten im Erdsystem und sind auch deshalb von größter gesellschaftlicher Relevanz.“
Dr. Nico Wunderling freut sich über die Auszeichnung: Der Potsdamer Nachwuchswissenschafts-Preis hat für mich als Forscher, der mit der Wissenschaftsregion Potsdam seit seiner Promotion eng verbunden ist, eine besondere Bedeutung. Die Auszeichnung trägt maßgeblich dazu bei, die Sichtbarkeit meines Forschungsgebiets (Kippelemente und deren Interaktionen im Klimasystem) voranzutreiben und kann damit schlussendlich auch entscheidend für den Erfolg zukünftiger Forschungsanträge sein. Insgesamt stellt die Auszeichnung eine wichtige Motivation für mich dar, eine dauerhafte Perspektive in der Wissenschaft erlangen zu wollen.“
Dr. Jonathan Donges ergänzt: „Nico Wunderling hat mit seiner Promotionsarbeit mit Hilfe der Theorie komplexer Systeme wichtige Beiträge zum besseren Verständnis der Dynamik von Kippelementen im Klimasystem geleistet. Seine Forschung verdeutlicht insbesondere, dass Wechselwirkungen dieser möglichen Kippelemente wie z.B. dem grönländischen Eisschild und der thermohalinen Zirkulationsströmung im Atlantik das Klimasystem durch Dominoeffekte destabilisieren könnten. Herrn Wunderlings umfassende Analysen zeigen, dass die durch solche Kippkaskaden verursachten Risiken oberhalb einer globalen Erwärmung von 1.5° (im Vergleich zum vorindustriellen Klima) besonders stark zunehmen, eine weitere Bestätigung der Relevanz der Pariser Klimaziele.“
Die Preisverleihung findet am Abend im Rahmen der Festveranstaltung zum Einsteintag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) im Nikolaisaal statt. Der Jury unter Vorsitz von Oberbürgermeister Mike Schubert lagen in diesem Jahr 14 Nominierungen vor.
Hintergrundinformationen
Zur Person
Dr. Nico Wunderling wurde im Mai 1992 in Fürth geboren. Nach seinem Studium der Physik an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg wechselte Dr. Wunderling nach Potsdam und absolvierte mit einem Promotionsstipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes sein Promotionsstudium an der Universität Potsdam und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Seine exzellente Dissertation wurde von Prof. Ricarda Winkelmann und Dr. Jonathan Donges betreut und mit dem Prädikat „summa cum laude“ bewertet.
Seit dem Frühjahr 2021 arbeitet Dr. Nico Wunderling als Post-Doktorand am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und dem Stockholm Resilience Center unter der wissenschaftlichen Anleitung von Prof. Johan Röckstrom sowie als Gastwissenschaftler an der Princeton Universität.
Zur Arbeit
Der menschengemachte Klimawandel könnte in naher Zukunft dazu führen, dass einige der
verletzlichsten Komponenten des Erdsystems in Gefahr geraten. Diese Regionen und Prozesse sind die sogenannten Kippelemente des Klimasystems. Kippelemente sind Teile des Erdsystems, die ab einer gewissen globalen Erwärmung ihre Stabilität verlieren und in ihrer jetzigen Form von der Erdoberfläche verschwinden. Dies hätte schwerwiegende Folgen für die Unversehrtheit der Biosphäre und für das Zusammenleben der Menschheit im Allgemeinen.
Eine der schwerwiegendsten Konsequenz bestünde im Anstieg des Meeresspiegels um
mehrere Meter, wenn große Eisschilde auf Grönland und der Westantarktis abschmelzen.
Auch die Biodiversität könnte dramatisch abnehmen sollte der Regenwald im Amazonas durch einen Kippprozess verschwinden.
Eine der zentralen Fragen besteht in diesem Kontext darin, inwiefern das Risiko eines
Kippereignisse zusätzlich erhöht wird, wenn durch Rückkopplungsprozesse beim
Überschreiten eines Kipppunktes weitere Kippprozesse im Erdsystem ausgelöst werden. Kann es dann zu sogenannten Kippkaskaden oder Domino-Effekten kommen?
Mit ebendiesen Wechselwirkungen und Domino-Effekten beschäftigen sich die Publikationen, die während und kurz nach meiner Promotion entstanden sind. Die Netzwerkanalyse zeigt, dass die Eisschilde auf Grönland und der Westantarktis mögliche Ausgangspunkte für Kippkaskaden sind, während der Ozean häufig als Überträger fungiert. Die Ergebnisse dieser Studie sind im Journal Earth System Dynamics erschienen, der sowohl wissenschaftlich als auch medial weltweit aufgegriffen (unter anderem in den 10 New Insights in Climate Science 2021, im Guardian, Spiegel, der Zeit und weiteren Veröffentlichungen).
Darüber hinaus ist eine weitere Studie im Zusammenhang mit zwei Auslandsaufenthalten an
der Universität São Paulo in Brasilien entstanden zum Amazonasregenwald als
interagierendes Kippelement. Hier konnte gezeigt werden, dass der Süden des Amazonas
besonders gefährdet ist, seinen tropischen Regenwaldbestand zu verlieren, sollten sich
Dürreperioden, wie für die Zukunft vorausgesagt, im Amazonasgebiet häufen. Ein besonders
wichtiger Grund dafür ist das sog. Niederschlagsrecycling, das verdunstete Feuchtigkeit von
einer Region entlang der Hauptwindrichtung weitertransportiert. Dies macht für manche Teile
des Regenwalds 50% des gesamten Niederschlags aus und ist daher ausschlaggebend für
dessen Überlebensfähigkeit. Daran anlehnend konnte in einer weiteren Arbeit gezeigt
werden, dass der Transport des Niederschlagsrecyclings im Amazonasgebiet im Vergleich zu anderen tropischen Regionen (z.B. im Kongo oder Indonesien) weltweit einzigartig ist: die
trichterartige Struktur des Niederschlagstransports könnte dazu führen, dass der
Amazonasregenwald besonders anfällig auf Veränderungen in seinem hydrologischen
Kreislauf reagiert.
Der Grundstein dieser beiden Studien ist bereits während der Dissertation von Dr. Wunderling gelegt worden, aber erst in diesem Jahr sind die beiden Arbeiten in führenden wissenschaftlichen Journalen publiziert worden: in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) und in Nature Communications.
Downloads
- Laudatio Mike Schubert auf Dr. Nico Wunderling Nachwuchwissenschaftspreis 2022