Pressemitteilung Nr. 161 vom 17.04.2025 Bericht der Beauftragten für Migration und Integration, Dr. Amanda Palenberg, zu einer Delegationsreise nach Kurdistan

Amanda Palenberg besucht auf ihrer Delegationsreise Kurdistan
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Die Beauftragte für Migration und Integration der Landeshauptstadt Potsdam, Dr. Amanda Palenberg, nahm Anfang April gemeinsam mit Schirin Wiesand, Geschäftsführerin des Interreligiösen Forums Potsdam, Bernhard Fricke, ehemaliger Flüchtlingspfarrer, Khalil Ehmet, Mitglied des Migrantenbeirats der Landeshauptstadt Potsdam, und Manuela Dörnenburg, Gleichstellungsbeauftragte des Landes Brandenburg an einer zehntägigen Reise nach Kurdistan (Nordirak) teil. Zu der Reise eingeladen hatte das Interreligiöse Forum Potsdam, zu dessen Netzwerk die Landeshauptstadt Potsdam gehört. Organisiert wurde die Reise von der Deutsch-Kurdischen Freundschaftsgesellschaft e.V. Berlin.

Ziel der Reise war es, mit lokalen Akteur*innen, religiösen Führer*innen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und politischen Verantwortlichen über Migration, Fluchtursachen, interreligiöses Zusammenleben und die Rolle von Frauen in Politik und Gesellschaft ins Gespräch zu kommen. Ein zentraler Schwerpunkt der Gespräche war die Situation von Menschen, die aus Deutschland in den Irak abgeschoben wurden. In verschiedenen Städten, darunter Duhok und Erbil, traf die Delegation Menschen, die nach Jahren in Deutschland abgeschoben wurden und dort unter schwierigen Bedingungen leben.

Rückkehr in Camps, ohne Perspektive
Diese Menschen berichten von Polizeigewalt während der Abschiebung, fehlender Beratung und dem Verlust jeglicher Perspektive nach der Rückkehr. Viele von ihnen landen erneut in Flüchtlingscamps, ohne Zugang zu Arbeit, Bildung oder medizinischer Versorgung. Häufig fehlen ihnen grundlegende Dokumente. Kinder können nicht zur Schule gehen, weil sie keine Papiere haben oder die Sprache nicht mehr sprechen. Obwohl die deutsche Regierung Rückkehrhilfen in Form von finanzieller Unterstützung gewährt, sind diese in der Praxis oft nicht nutzbar. Die Mittel sind zweckgebunden, etwa an den Kauf von Haushaltswaren oder den Aufbau eines Unternehmens. Doch ohne Haus, Eigentum oder Startkapital ist diese Hilfe für viele unerreichbar. Bei einem Termin im deutschen Generalkonsulat wurde deutlich: Die dortigen Strukturen sind nicht auf die Rückkehr von Geflüchteten eingestellt, erst recht nicht auf eine große Anzahl von Menschen, die im Zuge der Rückführungsoffensive der Bundesregierung noch verstärkt erwartet werden.

Der Fall Hiba: Ein Kind zwischen zwei Welten
Eine Geschichte hat die Delegation besonders bewegt: Hiba, ein 13-jähriges Mädchen, das als Achtjährige mit ihrem Onkel nach Deutschland geflohen war, wurde im Herbst 2024 abgeschoben. Sie hatte sich in Deutschland integriert, ging zur Schule und lernte Deutsch. Auch die Familie sollte bald nachgeholt werden. Doch statt einer Familienzusammenführung wurde sie eines Morgens von der Polizei abgeholt und in den Irak zurückgeführt. Heute lebt sie wieder in ihrem Herkunftsdorf, entwurzelt, ohne Perspektive und mit Angst vor der Zukunft. Sie kann weder Kurdisch lesen noch schreiben und die finanziellen Mittel reichen nicht aus um die deutsche Schule in Kurdistan zu besuchen. Ihre Geschichte steht stellvertretend für viele andere.

Politische Gespräche und gesellschaftlicher Austausch
Die Delegation führte zahlreiche Gespräche mit lokalen Vertreter*innen, darunter die Bürgermeisterin von Alqosh – eine der wenigen Frauen in diesem Amt, dem Bürgermeister von Duhok und der dortigen Flüchtlingsbeauftragten, das Oberhaupt der Yezid*innen in Lalish sowie Vertreter*innen von Universitäten und Hilfsorganisationen, das kurdische Außenministerium und das deutschen Generalkonsulat in Erbil. Im Mittelpunkt stand dabei stets die Frage, wie Menschen in Kurdistan aufgenommen werden, wie interreligiöses Zusammenleben organisiert ist und welche Rolle internationale Verantwortung und europäische Politik in dieser Region spielen müssen. Darüber hinaus fanden Termine mit Wissenschaftler*innen von den Universitäten in Duhok und Erbil statt, die auf den Gebieten Genozide, Trauma(-bewältigung), Menschenrechte, Gender und Internationale Beziehungen forschen. In den Gesprächen wurde deutlich, dass die Gesellschaft Kurdistans durch mehrere anerkannte Genozide von einem kollektiven Trauma geprägt ist. Dies ist bis heute spürbar und destabilisiert das Vertrauen in staatliche Strukturen.

Ein Appell an die Politik
Die Beauftragte für Migration und Integration der Landeshauptstadt Potsdam, Dr. Amanda Palenberg, resümiert zu der Reise: „Die Gespräche vor Ort machen für mich eines deutlich: Die Situation im Nordirak ist nicht sicher. Der anhaltende Konfliktdruck durch Nachbarländer, die instabile Lage im Shingal-Gebiet, die mangelnde Anerkennung von Binnenvertriebenen durch staatliche Stellen sowie die geringe Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen zeigen, dass eine Rückkehr in Sicherheit für viele Menschen nicht gewährleistet ist. Somit ist die Rückführung von Geflüchteten in den Nordirak für viele eine Rückkehr in Unsicherheit, Elend und Angst. Viele der abgeschobenen Menschen empfinden Deutschland als ihre Heimat. Wir dürfen sie nicht in Perspektivlosigkeit zurücklassen.“

Die Beauftragte fordert deshalb:
•    Transparenz über das Rückführungsabkommen zwischen der deutschen Bundesregierung und dem Zentralirak
•    Faire Asylverfahren und umfassende rechtliche Beratung für Geflüchtete in Deutschland
•    Sichere Bleibeperspektiven für Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus
•    Mehr europäische Investitionen in Infrastruktur und Wirtschaft vor Ort, um langfristige Perspektiven zu schaffen
•    Stärkere Beteiligung der deutschen Außenvertretungen, um Rückkehrer*innen nicht im Stich zu lassen

Am 23. Juni 2025 veranstaltet das Interreligiöse Forum Potsdam gemeinsam mit der Beauftragten Dr. Amanda Palenberg und dem Migrantenbeirat der Landeshauptstadt Potsdam einen Diskussionsabend zum Thema Abschiebungen nach Kurdistan. Mehr Informationen zur Veranstaltung folgen auf dem Instagram-Kanal des Büros für Gleichstellung der Landeshauptstadt Potsdam @beauftragtepotsdam.