Pressemitteilung Nr. 443 vom 23.08.2005 Entwicklung der Nahversorgung im Einzelhandel - Tendenzen und Möglichkeiten der Einflussnahme

Eine wesentliches Qualitätsmerkmal von städtischen Wohnstandorten ist die Erreichbarkeit von Versorgungseinrichtungen für Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfs.
Zu beobachten sind deutliche Veränderungen im Wechselspiel zwischen den Konzepten der Einzelhandelsbetreiber und den Einkaufsgewohnheiten der Bevölkerung. Dies gilt für Potsdam genauso, wie es deutschlandweit zu beobachten ist. Das Ergebnis ist nicht nur eine viel geringere Dichte des Netzes von Standorten, sondern auch eine zunehmende Größe von Supermärkten mit immer größeren Einzugsbereichen.
Für Potsdam zeigt eine Gegenüberstellung des Einzelhandelsbestandes im Nahversorgungsbereich 1995 mit den Neuansiedlungen ab ca. 2000 die dramatische Veränderung der Standortstruktur – weg von den „Netzmaschen“ innerhalb der Siedlungsgebiete – hin zu einer fast ausschließlichen Orientierung am Hauptverkehrsstraßennetz.
Die Entwicklung ist zugleich dadurch gekennzeichnet, dass die im Einzelhandelgutachten 2000 festgestellte weitgehende Abdeckung des Nachholbedarfs nach der Wende nicht zu einer Beruhigung geführt hat. Vielmehr hat die – ebenfalls bundesweit ähnliche – Ansiedlungsoffensive der Discounter-Ketten (ALDI, LIDL etc.) zu einem erheblichen Angebotsüberhang im Lebensmitteleinzelhandel geführt. Deshalb beklagen vor allem die sog. „Vollversorger“ (z.B. REWE oder EDEKA) ein Ausbluten ihrer angestammten Standorte und reklamieren einen Anspruch der „Gleichbehandlung“ zur Ansiedlung neuer, leistungsfähiger Märkte mit Verkaufsflächen von ca. 1500 qm, ebenfalls an autogerechten Standorten, vorzugsweise an den Hauptachsen des Straßennetzes.
Ein Arbeitspapier des Deutschen Städtetages zeigt die allgemeine Tendenz auf: Die großen Betreiber, die als "Top-5" über 60 % und als "TOP-10" 85 % der Lebensmittelnahversorgung in den Städten abdecken, weisen darauf hin, dass die fußläufige Erreichbarkeit praktisch keine Bedeutung mehr hat. Nach ihren Aussagen kommen über 95 % ihrer Kunden mit dem Auto und wollen darauf nicht verzichten.
Die großen Anbieter im Lebensmittelbereich haben ihre Standardkonzepte:
· Discounter, 800 bis 1.000 m² Verkaufsfläche, 100 bis 150 Stellplätze, 5.000 m² Grundstück, Hauptverkehrsstraße;
· Vollsortimenter, 1.200 bis 1.500 m² Verkaufsfläche, 120 bis 150 Stellplätze;
· Verbrauchermarkt ab 3.000 m² Verkaufsfläche, 250 bis 300 Stellplätze.
Die in den historisch gewachsenen Stadtteilen ohnehin schon lückenhafte Nahversorgung der Siedlungsbereiche wird weiter ausgedünnt. Auch die abseits der Hauptverkehrsstraßen gelegenen Zentren, insbesondere in den Neubaugebieten, werden durch ein Wachstum von Verkaufsflächen in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Erste Standorte in den Potsdamer Wohngebieten sind aufgrund der mangelnden Tragfähigkeit schon aufgegeben worden.
Bei Neuansiedlungen in der Lebensmittel-Nahversorgung wird in siedlungsintegrierte, aber abseits der Hauptverkehrsachsen gelegene Standorte nicht investiert. Hierauf können städtische Konzepte nur in der Weise reagieren, dass zentrale Lagen an die Hauptachsen „angedockt“ und mit den Siedlungsgebieten vernetzt werden, wie z.B. am Keplerplatz oder an der Pappelallee im Bornstedter Feld.
Der Tendenz einer an den Hauptverkehrsachsen „aufgereihten“ Standortstruktur von Nahversorgungsanbietern soll zugunsten einer stärkeren Bündelung an zentralen Standorten entgegengewirkt werden. Dies geschieht, indem neue rechtliche Möglichkeiten des Planungs- und Bauordnungsrechtes dazu genutzt werden, nicht jedem Ansiedlungsbegehren nachzukommen.
„Das Interesse für eine Erweiterung oder Neuansiedlung seitens der „Vollversorger“-Ketten (REWE, EDEKA) muss planerisch gesteuert werden. Hier sollen ausschließlich solche Standorte befördert und durch Genehmigungen bzw. Planverfahren unterstützt werden, die bestehende Zentren stärken und nicht Nachfragepotenzial aus benachbarten Zentren innerhalb der Siedlungsbereiche abziehen“, betonte die Beigeordnete für Stadtentwicklung und Bauen Dr. Elke von Kuick-Frenz.