Pressemitteilung Nr. 65 vom 27.01.2014 Würdiges Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus

Oberbürgermeister Jann Jakobs hat heute gemeinsam mit Brandenburgs Kulturstaatssekretär Martin Gorholt, Claus Ladner von der Fördergemeinschaft Lindenstraße 54, der stellvertretenden Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung, Birgit Müller, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Michail Tkach, Vertreterinnen und Vertretern von Parteien und Fraktionen sowie Schülern des Helmholtz-Gymnasiums am Internationalen Tag des Gedenkens den Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Das Gedenken fand in der Gedenkstätte Lindenstraße am Denkmal "Das Opfer" von Wieland Förster statt. Wir dokumentieren seine Rede:

"Sehr geehrter Herr Staatssekretär,
sehr geehrter Herr Ladner,
sehr geehrte Frau Schnell,
sehr geehrter Herr Tkach,
liebe Potsdamerinnen und Potsdamer,

"Am Himmel wie auf Erden", diesen Roman Werner Bergengruens aus dem Jahr 1940 haben die nationalsozialistischen Machthaber bei seinem Erscheinen umgehend verboten.
Wohlweislich, nimmt er die Politik doch in die Pflicht, den Menschen wenn schon nicht den Himmel auf Erden, dann doch wenigstens keine Hölle zu bereiten.

Dieser Maßstab gilt heute unverändert. Wir brauchen nicht nach Syrien zu blicken, nach Afghanistan oder Kiew, um diesen einfachen Wunsch von Millionen Kindern, ihren Müttern und Vätern zu verstehen.

Es reicht ein kleiner Blick in unsere eigene Geschichte zurück.

Vor fast 70 Jahren befreiten russische Soldaten die Überlebenden von Ausschwitz aus ihrer qualvollen Hölle. Es waren nicht mehr viele, die sie retten konnten. Zu lange hatte der von Hitlers willfährigen Helfern angefachte, die Welt grausam überziehende Krieg gedauert, bis die letzte Schlacht für das NS-Regime verloren, der letzte Blutstropfen der Soldaten vergossen und das letzte unschuldige Opfer in den Konzentrationslagern qualvoll gestorben war.

Und viel zu lange haben sich die Vielen, die einfach mitgelaufen sind, die in Ämtern und Institutionen widerstandlos das Grauen gewähren ließen, all jene, die um die "Hölle auf Erden" für Millionen wussten, aber ihr Wissen verschwiegen, tot gestellt und sind stumm blieben. Es ist dies ein Schweigen, das uns noch heute in den Ohren dröhnt und auch weiter dröhnen wird.

Denn was die Opfer in dieser Zeit erleiden mussten, war monströs und bleibt unfassbar, unsagbar und letztlich unbeschreiblich. Kinder wurden ihren Eltern entrissen, Familien und Liebende wurden für immer getrennt. Inhaftierte, die nicht sofort ermordet wurden, mussten Zwangsarbeit leisten, und sahen sich unmenschlichen Schikanen des Wachpersonals ausgeliefert. Millionen Menschen, Brüder und Schwestern, wurden absichtsvoll vernichtet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ein solcher Blick zurück mit Erschauern tut Not. Doch möchte ich den Blick nun nach vorne richten. Denn was sind die Lehren aus dieser schlimmen Zeit? Eine zentrale Lehre heißt für mich ganz schlicht „Willkommen". Willkommen denen, die fliehen müssen. Willkommen denen, die sich für unsere Demokratie erwärmen und hier leben wollen. Willkommen den Gläubigen, gleich welcher Religion. Willkommen den Frauen und Männern, gleich welcher Herkunft, Hautfarbe und kultureller Tradition. Willkommen den Kindern und willkommen denen, die ihr Glück suchen.

Mögen sie in Bayern nicht ganz ihr Zuhause finden, hier in Brandenburg sind sie willkommen. Darin wissen sich der Ministerpräsident des Landes und der Potsdamer Oberbürgermeister mit der ganzen Zivilgesellschaft einig. Warum? Weil sie uns gut tun. Potsdam, die Stadt der französischen Hugenotten, die Stadt der Salzburger Protestanten und der Schweizer Katholiken, die Stadt für russische Soldaten und vietnamesische Vertragsarbeiter, verdankt denen, die kommen um zu bleiben, ein mehr an Toleranz und Wohlstand. Reichtum statt Armut bedeuten Zuwanderung und gelingende Integration. Weshalb also Ängste schüren? Dafür gibt es nicht den geringsten Anlass. „Angst essen Seele auf", meinte einst der großartige Film- und Theatermann Rainer Maria Faßbender.

Der Ort, an dem ich heute zu Ihnen spreche, mahnt uns daran, dies nie Preis zu geben. Denn dieser Ort ist kein gewöhnlicher Ort. Dieser Ort hat eine Geschichte. Dieses Haus diente in der Zeit des Nationalsozialismus als Untersuchungsgefängnis für politische Häftlinge. Und gerade deshalb ist hier der richtige Ort, dieser abscheulichen und unvergleichlichen Gräueltaten der Nationalsozialisten zu gedenken.

Lassen Sie uns abschließend, meine Damen und Herren, am heutigen Tag der Geschichte von Bücherverbrennung, Synagogenzerstörung und grausamer Menschenvernichtung gedenken. Und lassen Sie uns auch einen vorsichtigen Moment der Dankbarkeit empfinden: Darüber, dass Auschwitz, Treblinka, Majdanek, Dachau und alle anderen Lager eines nach dem anderen von den Alliierten befreit werden konnten. Darüber, dass Diktaturen früher oder später eben doch fallen. Und darüber, dass sich die Freiheit letztlich immer Bahn bricht. Davon bin ich überzeugt.

Schauen wir deshalb ganz genau hin, wo und wann und durch wen Freiheiten eingeschränkt werden. Und sagen wir denen, die sie uns einschränken wollen:

Wer uns heute die Freiheit nimmt, stiehlt morgen unsere Sicherheit und beschert uns übermorgen - das wissen wir inzwischen von unseren Müttern und Großmüttern, Vätern und Großvätern - die Hölle auf Erden. Das aber wollen wir alle "Nie wieder!"

Ich danke Ihnen."