Pressemitteilung Nr. 59 vom 27.01.2012 Oberbürgermeister gedenkt der Auschwitz-Befreiung

Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs hat am heutigen Holocaust-Tag an die Opfer der Judenverfolgung und an die Befreiung von der Tyrannei des Nationalsozialismus erinnert. "Die Hölle auf Erden - das war Auschwitz. Und der 27. Januar, an dem wir uns hier zusammenfinden, ist der Tag an dem das Konzentrationslager Auschwitz von sowjetischen Truppen befreit worden ist", sagte er in seiner Rede in der Gedenkstätte Lindenstraße. Nachfolgend dokumentieren wir die Rede:

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Ladner,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

"Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von uns kann etwas tun, dass sie nicht zur Hölle wird."
Dieser Satz stammt von Fritz Bauer, einem sozialdemokratischen Juristen, der eine maßgebliche Rolle beim Zustandekommen der Frankfurter Auschwitzprozesse spielte. Was war das für eine Hölle, von der Bauer sprach?
Die Hölle auf Erden - das war Auschwitz. Und der 27. Januar, an dem wir uns hier zusammenfinden, ist der Tag an dem das Konzentrationslager Auschwitz von sowjetischen Truppen befreit worden ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
der Ort, an dem ich zu Ihnen spreche ist kein gewöhnlicher Ort. Dieser Ort hat eine Geschichte. Die Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 in Potsdam erinnert an die politische Verfolgung in gleich zwei deutschen Diktaturen. Dieses Haus diente in der Zeit des Nationalsozialismus als Untersuchungsgefängnis für politische Häftlinge. Es wurde nach dem Krieg durch den russischen Geheimdienst KGB und später von der Stasi in gleicher Funktion übernommen. Deutsche Traditionen - auf die wir gerne verzichtet hätten. Und doch ist gerade auch hier der richtige Ort, der Gräueltaten der Nationalsozialisten zu gedenken.

Was also ist am 27. Januar 1945 geschehen? Heute vor 67 Jahren begann für die Überlebenden von Auschwitz das Ende ihres Leidens. Die Befreier waren gekommen. Endlich, aber für viele zu spät!
Was die Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns erleiden mussten, ist und bleibt unfassbar, unsagbar und letztlich unbeschreiblich.
Hunderttausende wurden in die Lager transportiert, auf zynischste Weise selektiert und viele von ihnen direkt an der Rampe in die Gaskammern geschickt, wo sie einen unvorstellbar schrecklichen Tod erlitten. Kinder wurden ihren Eltern entrissen, Familien und Liebende wurden für immer getrennt.
Diejenigen Häftlinge, die nicht sofort ermordet wurden, mussten unter schrecklichsten Bedingungen mörderische Zwangsarbeit leisten, vom Hunger gezeichnet, schutzlos der Witterung ausgesetzt und dabei den unmenschlichen Schikanen des Wachpersonals ausgeliefert.
Insgesamt starben durch den Holocaust sechs Millionen Juden, auch Sinti und Roma, Kriegsgefangene, Widerstandskämpfer, Homosexuelle und Behinderte wurden geschunden und ermordet. Sechs Millionen - eine unvorstellbare Zahl.

Aber was macht das alles eigentlich heute mit einem, wenn man sich - zumal als Deutscher - nach fast 70 Jahren dieser unglaublichen Mordmaschinerie und der unschuldigen Opfer erinnert?
Man möchte am liebsten schweigen. Schweigen in Demut, Schweigen aus Scham. Wie kann man aber schweigen, wo man doch Farbe bekennen muss? So wie es viele Potsdamer Bürgerinnen und Bürger im Dezember getan haben, als sie dem braunen Mob für alle sichtbar mit einer bunten Demonstration der Vielfalt Paroli boten?
Man möchte nachdenklich inne halten, wo doch ständige Wachsamkeit und aktive Erinnerungsarbeit gefordert sind. Denn gerade diese Woche hat eine Studie Erschreckendes herausgebracht: Antisemitismus ist in Deutschland tief verankert und jeder Fünfte ist latent judenfeindlich. Hier muss besser und stärker aufgeklärt werden. Dafür müssen wir alle zusammenarbeiten.
Und natürlich möchte man zur Normalität zurückkehren, nur um dann zu erkennen, dass Normalität nach Auschwitz eben gerade nicht die Möglichkeit eines gedankenlosen „weiter so" bedeuten kann.
Denn Auschwitz ist ein Wendepunkt. Auschwitz ist ein Fanal. Und es ist ein Symbol. Für Antisemitismus, für Rassenwahn, für Unmenschlichkeit und für deutsche Schuld. Es waren Deutsche, die den Holocaust beschlossen haben und das nicht irgendwo, sondern hier in unserer Nachbarschaft nur ein paar Kilometer entfernt direkt am Wannsee. Auch der Tag der Wannsee-Konferenz jährt sich in dieser Woche, zum 70. Mal - jüngere deutsche Geschichte ist wahrlich reich an Tagen des Gedenkens.
Es waren Deutsche, die das Töten von Millionen Unschuldiger zu einer Industrie gemacht haben. Und es waren Deutsche, die später nichts davon gewusst haben wollen, nicht in Potsdam, nicht in Berlin und auch nicht wenige Meter entfernt von den Todesfabriken der Nazis tief im europäischen Osten.
Nicht hinschauen, nichts gewusst haben. Das hat es leider überall gegeben.

Nehmen wir die Reichspogromnacht von 1938. Spätestens hier wurde für jeden ersichtlich, dass der nationalsozialistische Terror weder vor jüdischem Eigentum noch vor den jüdischen Menschen selbst halt machen wird. Leider hat auch die Potsdamer Synagoge gebrannt und es kann hier nur wenig Trost spenden, dass unsere Synagoge erst durch Nicht-Potsdamer mit einem Tag Verzögerung entflammt wurde, weil zuvor nicht genügend Potsdamerinnen und Potsdamer bereit gewesen waren, die Brandstiftung zu unterstützen.
Es kann auch nicht die Untätigkeit und fehlende Empathie der Potsdamer Bevölkerung relativieren, dass eine Bürgerin der Stadt, die Baroness von Mirbach, auf dem Dachboden ihrer Villa in der Alleestraße 10 eine Halbjüdin vor dem Abtransport in die Todeslager versteckte. Bewundernswerte Einzeltaten, fürwahr. Leider aber auch nicht mehr als genau das - Einzeltaten.
Wir aber erinnern uns heute der Opfer der Tyrannei und es ist unsere bleibende Aufgabe, dieser Opfer des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte zu gedenken,
... es ist unsere Aufgabe den Anfängen jedweden Rassismus zu wehren und
... es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen dass den Menschenrechten immer und immer wieder Geltung verschafft werden.
Und so bleibt es unsere tagtägliche Aufgabe, hart daran zu arbeiten, dass die Erde nicht noch einmal zur Hölle wird.

Ich danke Ihnen.