Pressemitteilung Nr. 47 vom 27.01.2013 Landeshauptstadt gedenkt den Opfern des Holocaust

Mit einer eigenen, mit den Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung abgestimmten Gedenkveranstaltung hat die Landeshauptstadt Potsdam heute anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am Platz der Einheit, Standort ehemalige Synagoge, erinnert. Für die Landeshauptstadt sprach die Beigeordnete für Soziales , Jugend, Gesundheit, Ordnung und Umweltschutz Elona Müller-Preinesberger. Wir dokumentieren die Rede wie folgt:

"Sehr geehrter Herr Schüler,
sehr geehrte Fraktionsvorsitzende
und Stadtverordneten,
sehr geehrter Herr Bahra,
sehr geehrte Potsdamerinnen und Potsdamer,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

als „Gefühl der Fassungslosigkeit" hatte es der Historiker Saul Friedländer einmal bezeichnet. Und dieses Gefühl eint uns alle, die wir heute hier am Tag der Befreiung von Auschwitz stehen und uns dieses unermesslichen Grauens des Holocausts, der versuchten Auslöschung, der Shoa gemeinsam erinnern. Heute ist kein Tag der Normalität und dieses Jahr, meine Damen und Herren, ist kein normales Jahr.

Denn dieses Jahr 2013 ist gespickt mit runden Jahrestagen der furchtbarsten Art. Im Jahr 1933 ergriffen die nationalsozialistischen Mördertruppen die Macht und brachten die ohnehin taumelnde Weimarer Demokratie schließlich zu Fall. In wenigen Tagen am 30. Januar jährt sich demnach die „Machtergreifung" der Nationalsozialisten in Deutschland zum achtzigsten Mal. Ein erster, vermeintlich noch harmloser Schritt - heute würde man ihn wohl Regimewechsel nennen - eines steilen Weges in den Abgrund, der im Massenmord an Millionen Unschuldigen und im Weltenbrand mit über 60 Millionen Toten kaum zwölf Jahre später enden wird.

Auch Potsdam findet in diesem schrecklichen deutschen Schicksalsjahr 1933 seinen traurigen Platz in der Weltgeschichte mit dem ebenso oft zitierten wie berüchtigten Tag von Potsdam am 21. März desselben Jahres, der den Schulterschluss der preußisch-militaristischen „Kaisertreuen" mit den Nationalsozialisten bedeutete und bis heute die Geschichte unserer Landeshauptstadt Potsdam mit den dunkelsten Kapiteln deutscher Geschichte schmerzhaft verbindet.

Deshalb ist es kein eben „normales" Jahr, in dem wir uns hier und heute zusammenfinden, um der Millionen Opfer des Nazi-Terrors in Europa zu gedenken. Gerade dieses Jahr bringt uns durch den Tag von Potsdam noch einmal viel greifbarer und begreifbarer dieser fürchterlichen Zeit nahe.

Und meine Damen und Herren, es ist mir wichtig festzustellen:
Potsdam stellt sich seiner Geschichte. Wir werden den Tag von Potsdam mit einer Reihe von Veranstaltungen auf unsere Weise gedenken und wir werden alles tun, damit nicht der rechte Mob diesen Tag für sich und seine fremdenfeindlichen, offen antisemitischen Ziele benutzen kann. Das kann und will ich Ihnen hier und heute versprechen, meine Damen und Herren!

Doch heute wollen wir uns nicht so sehr mit den Tätern von früher, den Tätern von heute und auch den möglichen Tätern von morgen befassen, das werden wir sehr intensiv und ausdauernd zu gegebener Zeit wieder tun. Heute geht es nicht um sie, heute geht es um die Opfer!

Hunderttausende wurden in die Lager transportiert, auf zynischste Weise selektiert und viele von ihnen direkt an der Rampe in die Gaskammern geschickt, wo sie einen unvorstellbar schrecklichen Tod erlitten. Kinder wurden ihren Eltern entrissen, Familien und Liebende wurden für immer getrennt.

Diejenigen Häftlinge, die nicht sofort ermordet wurden, mussten unter schrecklichsten Bedingungen mörderische Zwangsarbeit leisten, vom Hunger gezeichnet, schutzlos der Witterung ausgesetzt und dabei den unmenschlichen Schikanen des Wachpersonals ausgeliefert.

Insgesamt starben durch den Holocaust sechs Millionen Juden, auch Sinti und Roma, Kriegsgefangene, Widerstandskämpfer, Homosexuelle und Behinderte wurden geschunden und ermordet. Sechs Millionen - eine unvorstellbare Zahl.

Seit 1996 begehen wir in Deutschland den 27. Januar und damit die Befreiung von Auschwitz als nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Wir gedenken an diesem Tag aller Opfer dieses beispiellosen Terrorregimes: Juden, Christen, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, Homosexuellen, politisch Andersdenkenden sowie Männern und Frauen des Widerstandes, Wissenschaftlern, Künstlern, Journalisten, Kriegsgefangenen und Deserteuren, Greisen und Kindern an der Front, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern und der Millionen Menschen, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden. Wir erinnern damit an unvorstellbare Menschheitsverbrechen, an Völkermord und systematisch betriebenen Massenmord. Und wir bekennen zugleich unsere besondere Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz.

Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Gedenken darf ohnehin nie zur bloßen Routine verkommen. Die unvorstellbaren Verbrechen der Nazis müssen immer wieder aufs Neue aus den persönlichen Gedächtnissen und historischen Archiven herausgeholt werden - nur so werden wir dem Anspruch gerecht, wachsam und mit offenen Augen und Herzen diese Gräueltaten unserer Ahnen anzuerkennen, und ebenso offen unsere Scham und unsere Wut über all die Täter, all die Mitläufer und all die Weggucker aller Welt gegenüber kundzutun - das meine Damen und Herren meine ich mit Erinnerungsarbeit. Hierfür ist ein Datum wie der Holocaust-Gedenktag zwar ein wichtiger Anlass, doch Erinnerungsarbeit ist ein Prozess und lässt sich nicht nur an Jahrestagen ableisten. Das würde zu kurz greifen.

Deshalb bin ich ausgesprochen froh, dass wir in der Gedenkstätte Lindenstraße im Mai dieses Jahres mit dem Ausstellungsmodul über die NS-Zeit eine wichtige Lücke in der Dokumentation und Auseinandersetzung mit der Geschichte dieses authentischen Ortes schließen werden.

Denn in der Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 erinnern wir dann umfassend an die politische Verfolgung in gleich zwei deutschen Diktaturen. Wie Sie wissen diente das Haus in der Zeit des Nationalsozialismus als Untersuchungsgefängnis für politische Häftlinge.
Es wurde nach dem Krieg durch den russischen Geheimdienst KGB und später von der Stasi in gleicher Funktion übernommen.

Und, meine Damen und Herren,
die Aufarbeitung und Weitergabe authentischer Erfahrungen ist unverzichtbar für eine aktive, lebendige Erinnerungskultur. Sonst blieben das Wissen um den Völkermord abstrakt und der millionenfache Tod der Opfer anonym.

Wir erinnern uns heute der Opfer der Nazi-Tyrannei und es ist unsere bleibende Aufgabe, dieser Opfer des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte zu gedenken.

Ich lade Sie ein. Machen Sie mit,

... um den Anfängen jedweden Rassismus und Antisemitismus zu wehren.

... um den Menschenrechten immer und immer wieder Geltung zu verschaffen.

... und um weiter tagtäglich hart daran zu arbeiten, dass wir gemeinsam aus der Vergangenheit lernen, die Gegenwart gestalten und für die Zukunft immer wachsam bleiben, um möglicherweise aufkommende rassistische und anti-semitische Tendenzen in unserer Stadt schon im Keim zu ersticken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich möchte diese Gelegenheit nutzen und hier und heute ganz explizit für eine gemeinsame Gedenkveranstaltung werben - eine Veranstaltung für alle Potsdamerinnen und Potsdamer, die sich solidarisch zusammenfinden, um der Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes zu gedenken.

Denn heute ist kein Tag, den man haarspalterisch an den wenigen Unterschieden in der Gedenkarbeit unterschiedlicher Gruppen festmachen sollte.

Heute ist ein Tag des gemeinsamen Erinnerns.
Heute ist ein Tag, an dem alle anti-rassistischen, demokratischen und anti-totalitären Menschen in unserer Landeshauptstadt zusammenstehen sollten - so wie wir es schon mehrfach gegenüber dem sporadisch in Potsdam auflaufenden braunen Mob getan haben: einig, stark und konsequent. Das wünsche ich mir auch am Holocaust-Tag, meine Damen und Herren.

Und deshalb haben wir im letzten Dezember in einer Gesprächsrunde im Stadthaus beschlossen, dass die Landeshauptstadt Potsdam am Platz vor der ehemaligen Synagoge eine eigene Gedenkveranstaltung ausrichtet - für alle Potsdamerinnen und Potsdamer!

Ich danke Ihnen!"