Pressemitteilung Nr. 34 vom 21.01.2011 Rede des Oberbürgermeister Jann Jakobs zum Neujahrsempfang der Landeshauptstadt Potsdam am 21. Januar 2011

- Es gilt das gesprochene Wort! -


Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrte Damen und Herren Minister und Staatssekretäre,
sehr geehrte Präsidentinnen und Präsidenten,
sehr geehrte Bundes- und Landtagsabgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren Kollegen Bürgermeister und Landräte,
sehr geehrter Herr Schlöndorff,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Potsdamerinnen und Potsdamer,

ich möchte Sie zum Neujahrsempfang der Landeshauptstadt Potsdam sehr herzlich begrüßen. Ganz besonders freut es mich, meinen Kollegen aus der Partnerstadt Jyväskylä in Finnland unter uns zu wissen. Herzlich willkommen, Markku Andersson. Ich danke Ihnen allen, dass Sie meiner Einladung in die Metropolis Halle gefolgt sind. Für das noch vor Ihnen liegende Jahr 2011 wünsche ich Ihnen Glück und Gesundheit. Es wird bestimmt wieder ein spannendes Jahr werden, wenn auch in diesem Jahr weder im Land Brandenburg noch in Potsdam eine Wahl ansteht.

Für die musikalische Umrahmung sorgt heute das Deutsche Filmorchester Babelsberg unter der Leitung des Dirigenten Professor Bernd Wefelmeyer. Ich möchte mich bei den Musikerinnen und Musikern bedanken, dass sie heute für den festlichen Rahmen der Veranstaltung sorgen. Dass wir das Filmorchester heute hier aufspielen lassen, kommt nicht von ungefähr. Sie sehen es und werden es ja auch noch hören: Es ist das „Jahr des Films" in Potsdam. Die folgende Geschichte ist bekannt, aber auch zu schön, um nicht noch einmal erzählt zu werden. Im Jahr 1911 suchte der Kameramann Guido Seeber für Filmaufnahmen nach einer Alternative zu den beengten Berliner Dachateliers. Auf einem völlig verwüsteten großen Grundstück in Neubabelsberg fand er ein fabrikähnliches Gebäude. Seeber sagte sich: „Ja, das ist es, was wir suchen." Raus aus dem engen Berlin in die Sonne und gestalterische Freiheit Neubabelsbergs. Guido Seeber ist damit so etwas wie der Gründungsvater der Medienstadt Babelsberg geworden. Und Potsdam war aufgrund seiner Wahl nun im Begriff, dem großen Berlin den Rang als Filmstadt abzulaufen. Ich muss gestehen: Das hat uns Potsdamern ja schon immer gefallen. Dem großen Berlin ein Schnäppchen zu schlagen...Ein gutes Motto für 2011. Deshalb fiel es uns auch leicht, dieses Jahr als „Stadt des Films" auszurufen. Dankeschön und Gruß nach Berlin.

Die Deutsche Bioscop Filmgesellschaft, für die Seeber auch als technischer Direktor arbeitete, erwarb im November 1911 das Gelände. Das alte Gebäude wurde renoviert und ein ebenerdiges Glasatelier errichtet. Der erste Film hieß „Der Totentanz" (von Urban Gad) mit dem damaligen Stummfilm-Superstar Asta Nielsen - einer puppenhaften, langbeinigen Schönheit mit großen Augen und „schneeweißem, zartem Teint", wie es damals hieß. Der Drehbeginn war am 12. Februar 1912. Innerhalb von drei Monaten also. Ich finde, das ist, was Kauf, Baugenehmigung und Fertigstellung des Vorhabens angeht, selbst für Potsdamer Verhältnisse von rasanter Geschwindigkeit.


Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Potsdam hatte damit Modellcharakter für den deutschen Film. Heutige Filmklassiker entstanden hier. Ich möchte nur wenige stellvertretend nennen: Das Kabinett des Dr. Caligari (1920), Nosferatu - Eine Sinfonie des Grauens (1922) mit dem wunderbaren Max Schreck als Hauptdarsteller, Metropolis (1927) natürlich von Fritz Lang und Der blaue Engel (1930) mit Marlene Dietrich. Babelsberg mit seinen ungeheuren Potenzialen war auf dem Weg zum Hollywood Europas. Aber der Erste Weltkrieg, die Nazi-Zeit und schließlich der Zweite Weltkrieg machten das zunichte. Ufa und Defa prägten diese wechselvolle Geschichte. Es entstanden Propaganda-Filme, aber auch große Filme mit wundervollen Schauspielern wie Heinz Rühmann, Jutta Hoffmann, Angelica Domröse, Manfred Krug. Wir werden anschließend einige Filmschaffende vor und hinter der Kamera - stellvertretend für die Vielen, die hier wirkten und wirken mit dem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt ehren.

Film übt eine faszinierende Kraft aus. Ich selbst habe als kleiner Junge in der ostfriesischen Provinz meine ersten Kinofilme gesehen. Wenn es Winter wurde, verwandelte sich die Dorfschule zur Filmbühne. Tische und Stühle wurden zu einer Zuschauertribüne aufeinandergestapelt. Der Projektor konnte starten. Mein erster Film war „Moby Dick". Sie erinnern sich vielleicht an Kapitän Ahab, gespielt vom großartigen Gregory Peck. Die Geschichte vom Waljäger, dessen Kampf an Tauen gefesselt auf dem Rücken des Wals endet. Das Schiff versinkt im Meeresstrudel, den der Wal verursachte. Nur einer überlebt: der Schiffsjunge Ismael. Noch heute bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich den Film sehe.

Das sind Film-Geschichten, die auch Babelsberg ausmachen. Seit einigen Jahren spielen wir hier auf Hollywood-Niveau wieder mit. Zu den aktuellen Referenzen gehören Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds", Roman Polanskis „Der Ghostwriter" sowie die deutschen Produktionen „Das Leben der anderen" und „Das weiße Band". Was wäre wohl gewesen, wenn es wie in Hollywood eine kontinuierliche Entwicklung gegeben hätte? Wäre Potsdam dann auch voller Glamour und illustrer Geschichten von Filmsternchen? Mit einem Walk of Fame und einem Stelldichein der Filmindustrie? Mit Partys und Skandalen? Wäre das wirklich erstrebenswert? Die Medienstadt Babelsberg ist für uns heute in erster Linie Image- und Wirtschaftsfaktor. 3500 Menschen in 120 Unternehmen arbeiten hier. Sie wirken auf 420.000 Quadratmetern in 16 Ateliers und Studios. Damit sind wir mehr als wettbewerbsfähig. Zudem sind die Voraussetzungen gegeben, den Standort weiter auszubauen. Entsprechende Signale gibt es. Wir werden als Landeshauptstadt alles dafür tun, diese Bemühungen zu unterstützen. Wir sind gemeinsam mit der Studio Babelsberg AG Gesellschafter des Zentrums für Film- und Fernsehproduzenten. Und mit der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf" leistet das Land Brandenburg seinen Teil zur Fortentwicklung der Medien- und Filmstadt. Sie ist die einzige Kunsthochschule im Land. Von den Film- und Fernsehstudentinnen und -studenten gehen viele kreative Akzente aus. Es ist schön zu sehen, welche Anerkennung diese Ausbildung im In- und Ausland erhält. Das ist eine Zukunftsbranche.

Den Filmstudierenden möchte ich ein Zitat von Woody Allen ans Herz legen: „Alles in allem wird deutlich, dass die Zukunft große Chancen bereithält - sie enthält aber auch Fallstricke. Der Trick dabei ist, den Fallstricken aus dem Weg zu gehen, die Chancen zu ergreifen und bis 6 Uhr wieder zuhause zu sein."

Der Film soll in Potsdam aber auch außerhalb der Studios populärer gemacht werden. Dazu trägt das Studentenfilmfestival „sehsüchte" bei. Es ist das größte seiner Art in Europa. Und auch das Brandenburger Festival des Umwelt- und Naturfilms ist inzwischen fester Bestandteil unserer Filmkultur. Ich möchte, dass wir die Potsdamerinnen und Potsdamer noch mehr vom Filmfieber infizieren. Dazu soll das umfangreiche Programm dieses Jahres mit 130 Veranstaltungen beitragen. Höhepunkte sind unter anderem die „Agentennacht an der Glienicker Brücke", die Vorführungen von Filmen an Originalschauplätzen und die Reihe „Film-Schatzsucher" von Lindenpark und Thalia-Kinos.

Ich bin auch froh, dass das Potsdamer Filmmuseum in diesem Jahr in die Filmhochschule aufgenommen, integriert wird. Die Leiterin Dr. Bärbel Dalichow hat die „Vermählung" jüngst in einem Zeitungsbeitrag als „Jungbrunnen" bezeichnet. Das Filmmuseum bewahrt die Schätze von 100 Jahren Babelsberger Filmgeschichte. Ich kann Ihnen nur bestätigen, liebe Bärbel Dalichow: Dort, in der alten Stadtmitte, wo sich Ihr Museum befindet, soll es in absehbarer Zeit leuchtende Schaufenster der Wissenschafts- und Medienstadt geben. Und Sie sind eines davon! Auf das sind wir sehr stolz!

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
in den kommenden Jahrzehnten wird nicht nur das Filmmuseum in Potsdams Mitte leuchten. Es werden noch mehr Schaufenster der modernen Landeshauptstadt Potsdam entstehen. Im vergangenen Jahr sind dafür die notwendigen Voraussetzungen geschaffen worden. Der Spatenstich für den Landtagsbau ist vollzogen. Und ich bin überzeugt, dass trotz aller Probleme und Differenzen das Brandenburger Landesparlament ein Schmuckstück wird. Mit und rund um den Landtag entsteht das neue politische und gesellschaftliche Zentrum Potsdams. Die Grundstücke mit dem Leitbau, dem Palais Barberini, und den sieben Leitfassaden werden demnächst vergeben. Die Synagoge wird gebaut. Das Potsdam Museum findet einen würdigen Standort im Alten Rathaus am Alten Markt. Und die Stadt- und Landesbibliothek entsteht als Wissensspeicher neu.

Seien Sie aber überzeugt, dass es das Stadtgefühl wesentlich verändern wird. Zum Positiven hin. Potsdam schafft sich neu, indem es Alt und Neu miteinander verbindet. Dadurch entsteht Kraft. All das wäre ohne die Umwälzungen, die zum Ende der DDR führten, nicht denkbar gewesen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen. Die großartige Entwicklung dieser Stadt ist nicht zuletzt auch dem Mut der vielen Männern und Frauen zu verdanken, die 1989 auf die Straße gegangen sind, um den sozialistischen Staat zu beerdigen. Das war eine große Leistung.

In der Folge begann der demokratische Weg der Erneuerung. Wir haben im vergangenen Jahr dazu einige 20-jährige Jubiläen in Potsdam gefeiert. Ich nenne den ersten brandenburgischen Landtag und die erste demokratisch gewählte Stadtverordnetenversammlung nach der Wende. Der Prozess des politischen Wandels ist abgeschlossen. Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel hält an. Immer mehr Menschen ziehen in die Landeshauptstadt und immer mehr gründen hier eine Familie. Das ist großartig. Man sagt ja nicht umsonst, dass dort, wo Kinder geboren werden, Optimismus herrscht. Ich sage dazu: Die Potsdamer fühlen sich hier zu Hause.

Das ist aber auch eine große Herausforderung für Politik und Verwaltung. Wir müssen die Aufgaben bewältigen. Wir müssen das Wachstum meistern. Das vergangene Jahr - unser Jahr der Familie - hat dokumentiert, wie familienfreundlich wir schon sind, und es hat auch aufgezeigt, welche Aufgaben noch vor uns stehen. Wir benötigen mehr Kita-Plätze, mehr Schulen, mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Dabei konzentrieren wir uns auf die Schwerpunkte Arbeit, Bildung, Familie, Wohnen, Mobilität und Nachhaltigkeit. Wir brauchen ein Umfeld und ein Klima, in dem sich jeder wohlfühlt und jeder nach seiner Facon selig werden kann. Das stellt uns vor große, auch finanzielle Herausforderungen. Die Landeshauptstadt ist finanziell nicht auf Rosen gebettet - auch wenn das anders behauptet wird. Wir haben gut gewirtschaftet. Aber wir müssen uns auch weiterhin anstrengen. Diese gute Entwicklung Potsdams ist auch der Unterstützung des Landesregierung und des Landesparlaments zu verdanken. Herzlichen Dank, Herr Ministerpräsident, Herr Landtagspräsident! Und in aller Demut gehe ich davon aus, dass die Landesregierung zu ihrer Landeshauptstadt steht und sie bei den weiteren Vorhaben nicht im Stich lässt.

Sehr verehrte Damen und Herren,
ich weiß, dass wir den Potsdamerinnen und Potsdamern mit der Umgestaltung der Potsdamer Mitte und dem Ausbau und der Sanierung der Stadtteile einiges zumuten. Der „Wutbürger" gehört dennoch bislang eher zu einer einsamen Spezies in der Landeshauptstadt. Ich hoffe, dass das auch so bleibt. Dafür müssen wir aber verstehen, was die Ursache von Bürgerprotesten ist. Warum beispielsweise ist Thilo Sarrazins Buch so erfolgreich? Ich glaube, beides hat miteinander zu tun. Es ist die Angst vor dem Fremden und vor der Veränderung des gewohnten Alltags. Es ist eine Angst davor, dass einem das entgleitet, was Heimat ist. Das Buch von Sarrazin ist also im Grunde so etwas wie das Einwickelpapier für solche Ängste. In einer wachsenden Stadt werden wir mit diesen Tendenzen zunehmend konfrontiert werden. Wir sollten diese Empfindungen ernst nehmen. Ich habe bereits angekündigt, dass wir die Bürgerinnen und Bürger stärker in den politischen Prozessen anhören und einbinden wollen. Ich werde Stadtteilkonferenzen durchführen und wir wollen durch Bürgerbefragungen auch die Stimmungen der Menschen frühzeitig erfassen. Dazu habe ich erste Schritte veranlasst. Ich habe vor, im laufenden Jahr konkrete umsetzbare Schritte einzuleiten. So wie es aussieht, ist eine wichtige Entscheidung auf Bundesebene in diesen Tagen gefallen: Der Bund verkauft der Landeshauptstadt Potsdam die bundeseigenen Grundstücke am Griebnitzsee. Damit sind wir in der Lage, den öffentlichen Uferweg am Griebnitzsee umzusetzen. Der Auslegungsbeschluss für den Bebauungsplan wird in der nächsten Stadtverordnetenversammlung erfolgen. Damit gibt es zwar immer noch keinen durchgehenden Uferweg, aber diesem Ziel sind wir dann einen entscheidenden Schritt nähergekommen. Ich danke allen, die uns in dieser Frage unterstützt haben, insbesondere der Bürgerinitiative „Griebnitzsee für alle".

Vielleicht vermissen Sie mahnende Worte zu anderen Uferwegen, zum sozialen Gefälle in der Stadt, zum S-Bahn-Verkehr und vielen anderen Baustellen. Ich bin mir sicher, dass jeder von Ihnen bei diesen Themen bestens informiert ist und eine klare Meinung hat. Der Komiker Jerry Lewis hat einmal gesagt: „Botschaften soll man per Telex verschicken, aber nicht in einen Film verpacken." Schreiben Sie also allen ihren Freundinnen und Freunden ein Telex oder heute wohl besser: eine Mail, eine SMS oder eine Facebook-Nachricht: Potsdam ist 2011 „Stadt des Films". Wir haben viel zu bieten und freuen uns auf alle Gäste. Auf diejenigen, die sich für das Filmjahr interessieren wie auf die, die sich „lediglich" unsere wunderschöne Stadt ansehen wollen.

Ich wünsche Ihnen noch einmal ein fröhliches, erfolgreiches und gesundes Jahr 2011.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.