Pressemitteilung Nr. 701 vom 04.11.2019 Oberbürgermeister Mike Schubert als Sachverständiger im Innenausschuss des Bundestages zum Thema Flüchtlinge

Oberbürgermeister Mike Schubert vor dem Innenausschuss des Bundestages
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Oberbürgermeister Mike Schubert vor dem Innenausschuss des Bundestages. (c) bundestag.de

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert war am Montag als Sachverständiger im Innenausschuss des Deutschen Bundestages geladen. Die Landeshauptstadt Potsdam koordiniert das deutschlandweite Netzwerk der Städte Sichere Häfen, das sich in einer Potsdamer Erklärung zur Aufnahme von aus Seenot geretteten Flüchtlingen einsetzt und die Bundesregierung zum Handeln auffordert (www.potsdam.de/sicherer-hafen-potsdam).

Die Sitzung wurde zeitversetzt ab 16.30 Uhr im Parlamentsfernsehen und auf www.bundestag.de ausgestrahlt. Sie finden hier den Mitschnitt:

Hier finden Sie die Rede des Oberbürgermeister:


Innenausschuss Bundestag, Oberbürgermeister Mike Schubert:

„Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
herzlichen Dank für die Einladung zur heutigen Anhörung über die Anträge der Fraktion Bündnis90/Die Grünen und der Fraktion DIE LINKE zur kommunalen Aufnahme von geflüchteten Menschen. Die Landeshauptstadt Potsdam koordiniert bundesweit die Städte im Bündnis Sichere Häfen. Deshalb bin ich der Einladung gerne gefolgt.

Mittlerweile haben sich 115 Städte, Gemeinde und Gebietskörperschaften im Bündnis zusammengeschlossen. In diesen Kommunen leben zusammengenommen mehr als 23 Millionen Menschen. Das sind immerhin etwas über 28 Prozent der Einwohnenden der Bundesrepublik Deutschland. Die Potsdamer Erklärung, mit der die Kommunen ihre gemeinsame Koordination begonnen haben, trägt mittlerweile die Unterschrift von 60 dieser Gebietskörperschaften. München, Nürnberg und Bonn gehören zu den neuesten Unterzeichnern. Und unser Bündnis der Freiwilligen wächst weiter.

Dabei sind die Verantwortungsträger in den jeweiligen Kommunen und die politischen Kräfteverhältnisse in den Räten bunt gemischt. Weil alle Beteiligten die Haltung eint, dass die Frage, ob Menschen aus Seenot gerettet werden und an einen sicheren Ort gebracht werden sollen, sich der politischen Entscheidungsfindung entzieht. Es ist keine Frage politischer Farbenlehre, sondern eine humanitäre Hilfsmaßnahme. Es geht hier auch nicht zuvorderst um Flüchtlingshilfe, sondern um das Retten von Menschen. Erst die Rettung, dann das rechtsstaatliche Verfahren.

Deshalb bin ich dankbar dafür sagen zu dürfen, dass das Bündnis Städte Sicherer Häfen über die parteipolitischen Grenzen hinweg in der kommunalen Familie verankert ist.

Sehr geehrte Damen und Herren,
es sollte uns deshalb daran gelegen sein, gegenseitige verbale Provokationen unter Demokratinnen und Demokraten in diesem Thema zu unterlassen und lieber heute als morgen zu pragmatischen und rechtssicheren Lösungen für die Kommunen und in Europa zu kommen. Alles andere verlängert das Sterben im Mittelmeer unnötig und spielt nur einer Partei in die Hände, die gegen unsere Anstrengungen für eine humanitäre Seenotrettung in den Kommunen in aller Regelmäßigkeit hetzt und polemisiert: die AfD.

Umso wichtiger ist es, dass wir heute sachlich über die Notwendigkeit des §23 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz sprechen. Sachlich im politischen Raum und erklärend in der Öffentlichkeit. Dass diese Anhörung heute zur Sachlichkeit in der Debatte beitragen soll, daran habe ich keinen Zweifel. Und damit möchte ich auch zur Einschätzung der vorliegenden Anträge kommen.

Vorab möchte ich noch einmal betonen: Meine folgenden Einlassungen beziehen sich nicht auf die Feststellungstexte. Denn es ist offensichtlich, dass diese im deklaratorischen Ton und Gehalt durchaus nicht am für die Opposition üblichen Quäntchen Provokation in Richtung der Regierungsfraktionen sparen. Und wie ich bereits ausgeführt hatte, will ich in der Rolle, in der ich eingeladen wurde, von dieser Art der Auseinandersetzung Abstand halten. Vielleicht gelingt Ihnen ja, was in der Kommunalpolitik ständig gelebte Praxis bei solch weitreichenden Themen ist.

Allein im Ausschuss für Inneres und Heimat sitzen 15 Mitglieder des Bundestages aus Wahlkreisen, die eine Kommune umfasst, die sich zu einem Sicheren Hafen erklärt hat.
Und zwar aus allen Fraktionen und Regionen. Von der Vorsitzenden des Ausschusses Frau Lindholz, in deren Wahlkreis sich die Stadt Aschaffenburg im Mai 2019 dem Bündnis anschloss, über den Abgeordneten Amthor, der den Wahlkreis mit der Freien und Hansestadt Greifswald vertritt, die seit 2018 Mitglied im Bündnis ist, über die Abgeordneten der Großstädte München, Berlin, Köln und Hamburg oder der Abgeordneten mit Wohnsitz in meiner Heimatstadt, Frau Linda Teuteberg. Vielleicht schaffen Sie alle es im Nachgang, in einer Art Gruppenantrag oder überfraktionellem Antrag die wichtigen Änderungen ohne politischen Theaterdonner gemeinsam zu beschließen.

Und zwar mit einem Text, der das gemeinsame Ziel eines humanitären Europas betont und auf Schuldzuweisungen verzichtet. Es wäre meines Erachtens gut, wenn das hohe Haus ein Signal nach Europa senden würde, dass wir uns in Deutschland mit großer Mehrheit darüber einig sind, dass eine europäische Seenotrettungsmission genauso als Daueraufgabe eines europäischen Staatsverständnisses zu sehen ist wie die Sicherung der Seeaußengrenzen. Das ist kein Widerspruch, sondern das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Sehr geehrte Damen und Herren,
als „Städte Sicherer Häfen“ fordern wir von der Bundesregierung und dem Bundesinnenminister die schnellstmögliche Zusage, dass wir aufnahmebereiten Kommunen und Gemeinden die aus Seenot im Mittelmeer geretteten Geflüchteten auch aufnehmen können.

In diesem Sinne hat sich das Bündnis an den Bundesinnenminister gewandt und wir nehmen ausdrücklich positiv zur Kenntnis, dass der Bundesinnenminister sich deutlich auf die humanitäre Position der Seenotretter zubewegt. Aber es braucht jetzt die gesetzliche Verankerung.

Die „Städte Sicherer Häfen“ fordern von der Bundesregierung und dem Bundesinnenminister außerdem die Einrichtung eines an den rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgerichteten Verteilungsschlüssels für die aus Seenot geretteten Schutzsuchenden. Zu diesem Zweck wäre eine Bund-Länder-Vereinbarung im Sinne einer direkten Aufnahme von aus Seenot Geretteten von Bord in die aufnahmewilligen Kommunen und Gemeinden zielführend. Die Verteilung soll neben dem Königsteiner Schlüssel durch einen zu vereinbarenden zusätzlichen Schlüssel geregelt werden. Den aus Seenot Geretteten muss selbstverständlich nicht nur der Zugang zu einem fairen, rechtsstaatlichen Asylverfahren gewährt werden, sondern und dies möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, keine Stadt der „sicheren Häfen“ will die Verfahren über die Seenotrettung aushebeln. Dies wird von Gegnern der freiwilligen Aufnahme genauso gerne behauptet, wie die widerlegte Geschichte vom Pull-Effekt.

Noch einmal deutlich:
Seenotrettung ist eine humanitäre Pflicht.
Das Recht auf Asyl ist in unserem Grundgesetz verankert.
Aber Seenotrettung ist nicht gleich eine dauerhafte Aufenthaltsgestattung.
Dies Lüge verbreiten nur diejenigen, die Angst schüren wollen.

Die Verfahren dazu sind von diesem hohen Haus legitimiert. Was wie fordern ist eine deutliche höhere Flexibilität und Geschwindigkeit bei der Verteilung der aus Seenot geretteten. Die aufnehmenden Kommunen und Gemeinden fordern von der Bundesregierung und dem Bundesinnenminister dabei die rechtliche und finanzielle Gleichstellung und Gleichbehandlung der zusätzlich Aufgenommen.

Zielführend wäre es meines Erachtens außerdem, wenn Kommunen, die sich bereit erklären Geflüchtete aus Seenot aufzunehmen, bei der Integration der Geflüchteten UND bei der Erfüllung ihrer originären kommunalen Aufgaben ein größeres Maß an Unterstützung erhielten. Wichtig dabei wäre nicht allein auf die klassischen Integrationsmaßnahmen wie Spracherwerb, Wohnen und Arbeit zu schauen, sondern auch Fragen nach Möglichkeiten der freien Religionsausübung im Sinne unseres Grundgesetzes und Förderung von Zusammenleben in der Kommunalen Gemeinschaft zu beachten und zu fördern. Es muss darum gehen das Zusammenwachsen aktiv zu unterstützen. Humanität soll belohnt werden.

Dazu, und mit dieser Aussage möchte ich schließen, wäre es gut, wenn Bundesregierung, Bundesinnenminister und Bundestag den Gesprächsfaden mit uns aufnahmewilligen Kommunen aufnimmt. Es kann nur hilfreich sein, über das was konkret vor Ort gebraucht wird auch direkt zu sprechen. In diesem Sinne hoffe ich die heutige Anhörung ist erst der Auftakt zu einer zügigen gemeinsamen Lösungsfindung.“