Pressemitteilung Nr. 56 vom 26.01.2018 Prof. Helga Schütz erste Ehrenbürgerin der Landeshauptstadt Potsdam

Verleihung Ehrenbürgerwürde auf dem Neujahrsempfang / Potsdam hat drei Ehrenbürger
Dieter Wiedemann, Birgit Müller und Jann Jakobs bei der Eintragung von Helga Schütz ins Goldene Buch der Stadt
© Dieter Wiedemann, Birgit Müller und Jann Jakobs bei der Eintragung von Helga Schütz ins Goldene Buch der Stadt
Dieter Wiedemann, Birgit Müller und Jann Jakobs bei der Eintragung von Helga Schütz ins Goldene Buch der Stadt . Foto Landeshauptstadt Potsdam/ Robert Schnabel

    Ehrenbürgerwürde für Prof. Helga Schütz

    Prof. Helga Schütz ist die erste Ehrenbürgerin der Stadt Potsdam. Die Ehrenbürgerwürde für ihre schriftstellerischen Verdienste um Potsdam ist Prof. Helga Schütz am Freitag, 26. Januar 2018, auf dem Neujahrsempfang im Nikolaisaal durch Oberbürgermeister Jann Jakobs und die Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Birgit Müller verliehen worden. Die Laudatio hielt der frühere Präsident der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf, Prof. Dieter Wiedemann. Damit hat die Landeshauptstadt Potsdam mit Prof. Dr. Friedrich Mielke und Prof. Dr. Hasso Plattner sowie Prof. Helga Schütz eine Ehrenbürgerin und zwei Ehrenbürger.

    „Frau Professorin Helga Schütz hat sich in herausragender Weise um die Landeshauptstadt Potsdam verdient gemacht. Sie ist eine nicht nur im deutschsprachigen Raum bewunderte und gewürdigte Schriftstellerin, die ihr Potsdamer Leben für ihre Leserinnen und Leser in aller Welt erfahrbar gemacht hat. Sie hat in ihren Arbeiten auch Figuren geschaffen, in denen sich das Leben in Potsdam in besonderer Weise spiegelt. Dafür danke ich Helga Schütz und überreiche ihr stolz die Urkunde als Ehrenbürgerin unserer Stadt“, sagte Jann Jakobs anlässlich der Verleihung.

    Laudator Prof. Dieter Wiedemann sagte: „Liebe Helga Schütz, ich bin außerordentlich geehrt aber auch sehr glücklich, dass ich das erste Mal in meinem Leben eine Laudatio auf Sie und damit auf die erste Ehrenbürgerin seit 1025 Jahren der Stadt Potsdam halten kann.” Die Stadtverordneten hatten in ihrer Sitzung am 6. Dezember beschlossen, Prof. Helga Schütz die Ehrenbürgerschaft zu verleihen.

    Wer Ehrenbürger werden kann und welche Voraussetzungen zu erfüllen sind, wird in Potsdam durch die „Satzung über die Verleihung des Ehrenbürgerrechts“ vom 20. Dezember 2001 geregelt. Demnach kann Ehrenbürger werden, wer sich „in besonderem Maße und die Entwicklung und das Ansehen der Stadt Potsdam oder/und ihrer Bürger verdient gemacht hat“. Die Ehrenbürgerwürde wird zu Lebzeiten verliehen und kann durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung entzogen werden, „wenn sich der/die Ehrenbürger/in durch sein/ihr Verhalten als unwürdig erwiesen hat“.

    Ehrenbürger der Stadt haben beispielsweise das Recht, zu repräsentativen Veranstaltungen der Landeshauptstadt Potsdam eingeladen zu werden. Zudem haben Sie Rederecht in der Stadtverordnetenversammlung sowie das Recht, persönlich beim Oberbürgermeister vorzusprechen. Unentgeltlich dürfen Sie die Einrichtungen Potsdam Museum, Stadt- und Landesbibliothek, Stadtarchiv, die kommunalen Kulturhäuser, der kommunalen öffentlichen Schwimmhallen und Freibäder sowie die von der Stadt durchgeführten Ausstellungen und Veranstaltungen zu nutzen. Geregelt wird in der Satzung auch: „Das Ehrenbürgerrecht als höchstpersönliches Recht erlischt mit dem Tode des/der Ehrenbürger(s)/in.“

    Die Landeshauptstadt hatte in den vergangenen Jahrhunderten nach bisheriger Datenlage 46 Ehrenbürger, unter anderen Regierungs- und Schulrat Wilhelm von Türk, Hermann von Helmholtz, Alexander von Humboldt und Karl Foerster. Nach Hans-Joachim Giersberg (2001 bis zu seinem Tod 2014), Siegwart Sprotte (2003 bis zu seinem Tod 2004) und Prof. Hasso Plattner ist Prof. Helga Schütz die vierte, der die Ehrenbürgerwürde der Stadt Potsdam im 21. Jahrhundert verliehen wurde.

    Mit der Stadt Potsdam ist Helga Schütz persönlich und beruflich verbunden. Seit Mitte der 1960er Jahre verfasste sie Drehbücher zu über 30 Filmen, die zu Zeugnissen der DDR-Filmkunst wurden. Ab 1993 war Helga Schütz Professorin für „Drehbuch“ an der Hochschule für Film und Fernsehen und gab ihre Erfahrung an den jüngeren Nachwuchs weiter. Mit Beendigung ihrer beruflichen Laufbahn hat sie den Nachlass dem Filmmuseum Potsdam übergeben.

    Neben ihrem filmischen und schriftstellerischen Schaffen hat sich Helga Schütz schon früh für den Umweltschutz in Brandenburg engagiert, unter anderem im Rahmen der Pfingstberg-Bürgerinitiative. Die Pflege der Natur verbunden mit dem Denkmalschutz ist der gelernten Gärtnerin ein Anliegen, wie sie täglich in ihrem eigenen Garten beweist.

     

    Die Laudatio von Prof. Dieter Wiedemann

    Liebe Helga Schütz,

    ich bin außerordentlich geehrt aber auch sehr glücklich, dass ich das erste Mal in meinem Leben eine Laudatio auf Sie und damit auf die erste Ehrenbürgerin seit 1025 JAHREN der Stadt Potsdam halten kann. Ich weis nicht mehr genau, wann ich Sie persönlich kennen gelernt habe, ich vermute, dass es irgendwann in Dresden bei den jährlichen Präsentationen des DEFA-Spielfilmstudios für Journalist*innen war. Natürlich war mir ihr Name als Student und Absolvent der HFF Potsdam schon vorher ein Begriff und vielleicht haben wir uns schon bei den heute berühmten Vorführungen von NSW-Filmen in der DEFA-Vorführung gesehen (wir durften als Studierende an diesen Vorstellungen teilnehmen!).

    Unabhängig davon haben wir aber ein paar Gemeinsamkeiten, auf die ich nur kurz vor der Würdigung ihrer Lebensleistungen eingehen möchte:
    1. Wir haben beide vor unserem Studium an der HFF den Beruf einer Gärtnerin bzw. eines Gärtners gelernt: Helga Schütz mit dem Zwischenstopp ABF und ich mit einem Zwischenstop im Kulturhaus Suhl;
    2. Wir sind beide nach der Wende als Hochschullehe*rin an die HFF zurückgekehrt;
    3. Wir lieben die Premieren im Hans Otto Theater.
    4. Wir leben beide in der Filmstadt Babelsberg.                                                                                    

    Da unsere fünf Gemeinsamkeiten aber noch kein Grund für eine Ehrenbürgerschaft für Helga Schütz sein können, werde ich nun etwas seriöser! Helga Schütz lebt seit mehr als 50 Jahren in Potsdam, sie kam von Dresden nach Potsdam, weil - so beschreibt es zumindest ihr Alter ego Eli im Roman „Sepia“ - „Eli hat im Jugendmagazin gelesen, dass es in Potsdam eine Schule gibt, die den Lernenden Mittagessen zur Verfügung stellt. Außerdem Betten und sogar Bettwäsche“. Außerdem leiht sich Eli einen Stadtplan von Potsdam aus und stellt fest: “Potsdam liegt bei Berlin und zeigt viel Grün und Blau, also Wald und Wasser. Auch die Parks in Potsdam sind auf dem Atlas grüne Flächen. Helles Grün der Kultur gegen das dunklere Grün des Waldes“! Das war doch vor mehr als 50 Jahren ein guter Grund von Dresden nach Potsdam zu gehen, oder? Und es ist ein guter Grund für Sie, liebe Festgemeinde, diesen Roman von Helga Schütz (noch) einmal zu lesen.

    Der Vergleich zwischen einem hellen und einem dunklen Grün wirkt angesichts einiger anstehender politischer Entscheidungen schon ziemlich prophetisch. Eli verbrachte ihr Studium zwischen Richard-Tauber.Haus und Stalin-Villa, von der aus sie - zumindest zu Beginn des Studiums - noch zum Griebnitzsee runterlaufen konnte! Die Heldin des Buches und damit sicher auch unsere Ehrenbürgerin hat schon damals Potsdam und Umgebung mit dem Fahrrad erkundet: Sie war im Einsteinhaus in Caputh und im Foerster-Garten, ins Kino nach West-Berlin ist sie allerdings mit der S-Bahn gefahren.

    Helga Schütz hat ihr Studium an der HFF natürlich erfolgreich beendet und schrieb ihre Diplomarbeit zum Thema „Die Konzeption des Films ‚Verwirrungen der Liebe‘ und einige Gedanken zum Naturalismus im Film“. Am Schluß ihrer Arbeit schreibt Helga Schütz: „Vielleicht ist es mir zu verzeihen, dass ich all die praktischen Analysen nicht immer am Film „Verwirrungen der Liebe“ vorgenommen habe. Es hat sich erwiesen, dass sich die Gedanken besser an schönen Beispielen formulieren und beweisen lassen, man aber meist durch Gutes, aber noch Unvollkommenes dazu angeregt wird“. 

    Helga Schütz wollte auch nach dem Studium in der Stadt bleiben, die sie während ihres Studiums so schätzen und lieben gelernt hat. Die Stadt machte es ihr nicht einfach, einen Wohnraum zu finden und auch die DEFA-Studios kämpften nicht gerade - noch nicht1 - um ihre Mitarbeit! In dieser Zeit begann Helga Schütz etwas zu entwickeln, was ich als charmante Hartnäckigkeit bezeichnen möchte! Hartnäckigkeit brauchte sie auch in den folgenden Jahren, denn ihre Ehe mit Egon Günther - Autor, Dramaturg und Regisseur im DEFA-Spielfilmstudio, u.a. als Autor für eine der Sternstunden des DEFA-Kinderfilms verantwortlich, nämlich den 1961 verbotenen Film „Das Kleid“ (RE: Konrad Petzold, DEFA 1961) half ihr nicht unbedingt, als freischaffende Autorin, neue Aufträge zu generieren.

    Nach einem Dokumentarfilm konnte sie mit ihrem Ehemann, Egon Günther, mit Lots Weib (RE: Egon Günther) einen ersten Erfolgsfilm schreiben: Eine Frau die gegen ihren Ehemann, einem Kapitänleutnant der NVA-Seestreitkräfte, eine Scheidung wegen fehlender Partnerliebe vorantreibt. Da fehlende Liebe auch in der DDR nicht als Scheidungsgrund akzeptiert, beschliesst Katrin Lot einen Kaufhausdiebstahl, um verurteilt zu werden, weil ein Führungskader der NVA natürlich nicht mit einer Diebin verheiratet sein kann! Sie wird als Lehrerin entlassen, bekommt aber im Scheidungsprozess das Sorgerecht für die beiden Kinder.  Für die Historiker im Publikum, was wäre mit einem solchem Scheidungs-Anliegen 1965 in der BRD passiert?

    Dieser Kinoerfolg half Helga Schütz und Egon Günther aber bei den nächsten beiden Filmstoffen nicht wirklich weiter: Wenn du groß bist, lieber Adam (DEFA 1965) wurde in Konsequenz der berüchtigten 11. Plenums des ZK der SED 1966 verboten und konnte erst im Oktober 1990  in einer rekonstruierten Fassung zur Aufführung gebracht werden. Ein Schwan, der vor dem Schloss Moritzbug dem jungen Adam eine Taschenlampe aus dem See fischt und sie im schenkt. Dass diese Taschenlampe - die eine Art modernisierte Aladins Wunderlampe ist -  bei Lügen, die Lügenden einfach schweben lässt, war wohl etwas schwierig für einen Staat, der die Wahrheit per Gesetz gepachtet hatte. Insofern können die nur 16 Vorbestellungen für die geplante Massenproduktion nicht weiter verwundern. Eine besprochene Schallplatte als Kommunikationsmedium für getrennte Ehepaare - quasi als Äquivalent für WhatsApp. - war schon eine geniale Idee, sie half ihm aber auch nicht in die DDR-Kinos. Denn Monologe eines Betriebsdirektors, der seine Lügen folgendermaßen verteidigt: „…aber hundertmal, um ein paar Anordnungen von oben unschädlich zu machen, sie beruhten auf Irrtümern und waren erfahrungsgemäß auf andere Art nicht bekämpfbar“, warum ich bei diesem Zitat gerade an den Abgasskandal denke, weiss ich leider auch nicht; vielleicht sollte ein Schwan ja noch einmal eine solche Taschenlampe in einem See finden und die dann auch massenhaft reproduzierbar sein?    

    Ein weiteres Gemeinschaftsprojekt: Vietnam oder Die Kunst zu heiraten wurde erst gar nicht produziert. Ich will aus diesem nicht realisierten Manuskript etwas zitieren, weil es die Sprachgewalt der Autorin zeigt: „Da hörst du Musik. Da singen Engel. Da blasen die Trompeten, schallen die Hörner, werden die Pauken gepaukt. Jubilate und Hallelujah. … Ludwig wischte eine Träne fort und legt Kattrin eine Hand auf die Schulter“. So sollte vor mehr als fünfzig Jahren in einem DEFA-Film der geglückte Kauf eines Wartburgs beschrieben bzw. gefeiert werden. Für solch Worteskapaden steht natürlich auch Wenn Du groß bist, lieber Adam, aber den Film kann man sich ja als DVD kaufen bzw. Streamen oder in einer Bibliothek ausleihen! Deutlich wird bereits bei diesen beiden Projekten die große Fabulierlust der Autorin, aber auch ihr Hang zu kafkaesken Szenen.

    Nachdem Helga Schütz mehrmals gegen die Doktrin der Parteiführung verstossen hatte, wurde sie - prononcierter als ihr Ehemann - als freischaffende  Autorin zunächst in den Dokumentarfilm verbannt - mea culpa für alle Dokumentarfilmschaffende in diesem Festsaal für diese Formulierung! Sie schrieb Szenarien über Kinderunfälle, die Hochschulreform in der DDR, über die ersten Versuche zur Einführung programmierter Lernmethoden in der DDR (1969!), ein Film, der mir während meines Studiums an der HFF mehrfach als Beispiel für einen guten Dokumentarfilm präsentiert wurde, ich glaube übrigens, das dies zu Recht geschah!

    Helga Schütz hat aber auch über Sport geschrieben, hat für einen Puppentrickfilm Texte entworfen und mehrere Filme über die Bildende Kunst in der DDR gemacht, u.a. über die VII. Kunstaustellung der DDR in Dresden und die Annenkirche in Annaberg.

    Gleichzeitig konnte Helga Schütz erste Prosatexte veröffentlichen: Vorgeschichten oder schöne Gegend Probstein (1971) und Das Erdbeben bei Sangerhausen und andere Geschichten (1972). Es waren eigentlich Kindergeschichten, die Helga Schütz zunächst über das Mädchen Jette erzählte, die manchmal in ihrer Radikalität wie eine Pippi Langstrumpf wirkt. 

    Zu Beginn der siebziger Jahre durfte sich Helga Schütz auch wieder als Autorin dem Spielfilm widmen. Mit Egon Günther schrieb sie gemeinsam das Drehbuch zu „Die Schlüssel“, einem der für mich wichtigsten DEFA-Filme der siebziger Jahre. Zwei großartige Darsteller, nämlich Jutta Hoffmann und Jaecky Schwarz, die Musik von Czeslaw Niemen (für die jungen Potsdamer*innen unter uns: Das war ein bekannter polnischer Komponist, dessen Platten, zumeist gekauft in den polnischen Kulturzentren, Kult unter jungen Leuten in der DDR waren!) und natürlich die Regie von Egon Günther machten diesen Film zu einem intellektuellem Ereignis. Die Diskussionen um den improvisiert wirkenden Inszenierungsstil und um den Tod der Heldin in Krakau zeigten, dass der Film, der erst zwei Jahre nach seiner Fertigstellung in die Kinos kam und nicht ins Ausland verkauft werden durfte, einen Nerv der Zeit getroffen hatte.

    Im Jahr 1973 bekam Helga Schütz gemeinsam mit Ulrich Plenzdorf den „Heinrich-Mann-Preis“ der Akademie der Künste der DDR. In der Laudatio über sie heißt es: „Sie hat Grazie und Bescheidenheit. Eine kluge Grazie und eine Bescheidenheit, die auf natürlichem Takt gewachsen ist. Sie hat, was sie aufschreibt, erworben und geprüft und gewogen und danach viel Liebe und immer wieder Liebe daran gewendet“.

    Im Jahr 1975 konnte man Helga Schütz und Egon Günther in der Sendung des DDR-Fernsehens „Nacht der Prominenten“ bewundern. In der Von Erika Radtke und Dieter Mann moderierten Zirkus-Show, traten die beiden als Dressurreiter auf. Dies muss Helga schütz schon ziemlich beeindruckt haben, denn in einem kürzlich mit ihr geführten Gespräch erzählte sie mir davon. Sie glaube allerdings, dass das 1985 gewesen sei, also habe ich mir die dazu vorhandenen DVD’s ab 1985 angesehen. Es ist schon beeindruckend, wie unsere Ehrenbürgerin mit ihrem Schimmel das Dressur-Programm präsentiert, u.a. vor Jutta Hoffmann und Manfred Krug als Gästen in der ersten Reihe. Als ich das Programm mir jetzt angesehen habe, dachte ich, dass sie durchaus auch eine Märchenprinzessin hätte spielen können, z.B. in Drei Haselnüsse für Aschenbrödel!

    Zunächst realisierte sie aber mit Egon Günther „Die Leiden des jungen Werthers“, über den das Lexikon des Internationalen Films schrieb: „Eine sorgfältige Inszenierung, deren künstlerischer Eigenwille ein aufmerksames Publikum verlangt“. Für mich bleibt eine großartige Katharina Thalbach als Darstellerin der Charlotte in Erinnerung und eine leise Wehmut darüber, dass Ullrich Plenzdorfs Neuinterpretation der Werther-Story „Die neuen Leiden des jungen W.“ zwar in der DDR als Theaterstück funktionierte, aber von der DEFA nicht verfilmt wurde (von Eberhard Itzenplitz für die ARD verfilmt wurde!).

    Ein Höhepunkt und gleichzeitig der größte Skandal in der Zusammenarbeit von Helga Schütz und Egon Günther war zweifellos der Film „Ursula“ als Koproduktion des Fernsehens der DDR mit dem Fernsehen der Schweiz. Dieser Film nach einer Erzählung von Gottfried Keller, ich weiss noch, dass ich ihn spät Abends im DDR-Fernsehen gesehen habe und dachte, der Egon Günther traut sich was und das DDR-Fernsehen auch: Es war nämlich ein ästhetisch und auch kulturpolitisch außerordentlich ungewöhnlicher Film, der dann auch in der DDR nie mehr - öffentlich - gezeigt wurde. 

    Da hatte Helga Schütz in den ersten fünfzehn Jahren ihres Lebens als freischaffende Autorin ihre Auftraggeber ja schon - ungewollt oder gewollt? - ganz schön in Schwierigkeiten gebracht.

    Helga Schütz hat dann zwei Szenarien für andere Regisseure geschrieben: „P.S.“ für Roland Gräf (1979) und „Addio, piccola mia“ für Lothar Warneke (ebenfalls 1979).  In Addio, piccola mia  war Helga Schütz auch als Schauspielerin zu sehen, was in einem relativ bekannten Szenenfoto aus diesem Film auch dokumentiert ist: Während einer Vorlesung sitzt sie mit Konrad Wolf, Heiner Carow, Kurt Maetzig, Ralf Kirsten u.a. in der ersten Reihe des Vorlesungssaals.

    Danach schrieb Helga Schütz ein Szenarium über Martin Luther, das aber nicht verfilmt wurde, weil das Fernsehen der DDR gleichzeitig einen fünfteiligen Film vorbereitete, der von der DEFA realisiert wurde. Das Szenarium ist 1983 als Buch erschienen.

    Anschließend arbeitete Helga Schütz ein paar Jahre für das Fernsehen und zwar für den Saarländischen Rundfunk, für den sie drei Dokumentarfilme für die Reihe „Schauplatz der Geschichte“ schrieb (über Dresden, Erfurt und Rostock). Bei den Filmen über Erfurt und Rostock führte sie auch Regie! Hinzu km noch ein Film über den Dresdner Zwinger, bei dem sie auch für das Buch und die Regie verantwortlich war.

    Neben den vier Dokumentarfilmen schrieb die Autorin in den Achtziger Jahren noch zwei Romane, die sich sehr kritisch mit den Möglichkeiten junger Leute, sich in der eingeschlossenen DDR-Gesellschaft entfalten zu können: „Julia oder die Erziehung zum Chorgesang“ (1980) wobei der Chorgesang als Synonym für den Abbau von Individualität zu Gunsten des großen Ganzen beschrieben wurde.  Eine der für mich witzigsten Szenen in diesem Buch beschreibt eine Aktion von Julia und Nicole, der Freundin ihres Sohnes in einem vornehmen Ost-Berliner Restaurant, in dem die beiden sich zu einem älteren Paar an den Tisch setzen und die Leute bitten ihnen das zu geben, was diese nicht aufgegessen haben. Dabei schimpfen sie über die Vergeudung von Lebensmitteln und den Hunger in der Welt! Eine mehr als prophetische Szene!  1986 folgte „In Annas Namen“, in der Abiturienten u.a. Aktionen gegen Kriegsspielzeug in den Kaufhallen starten.

    Anschließend widmete sich Helga Schütz dann noch einmal dem Spielfilm. Mit „Fallada - letztes Kapitel“ in der Regie von Roland Gräf und den großartigen Darsteller*innen Jutta Wachowiak, Katrin Sass, Corinna Harfouch, Ulrike Krumbiegel und Jörg Gudzuhn als Hans Fallada, konnte sie sich noch einmal in einem auch künstlerischen Spielfilm verwirklichen (Der Film erhielt 1988 den Hauptpreis des 5. Nationalen Spielfilmfestivals der DDR). Ein weiteres Projekt, nämlich „Stein“ in der Regie von Egon Günther, ging 1991 leider in den Wirren der Nachwendezeit unter: Die neuen Bundesbürger*innen wollten keine DEFA-Filme mehr sehen und die alten offenbar auch nicht. Das hat sich ein paar Jahre später wieder etwas geändert, aber den Wendezeitfilmen dennoch nicht geholfen.

    Mit dem Dokumentarfilm „ABF-Memoiren“ in der Regie von Karl-Heinz Mund, der immerhin auf der Berlinale präsentiert wurde, beendete Helga Schütz 1993 ihre Karriere als Szenaristin und Drehbuchautorin.

    Am 3. Mai 1993 wurde im Senat der HFF „Konrad Wolf“ mitgeteilt, dass Helga Schütz und Joachim Nestler mit einer Wahrnehmungsprofessur im Studiengang Dramaturgie/Drehbuch beauftragt werden sollen. Meinen Tagebuchaufzeichnungen entnehme ich, dass sie da nicht in eine streng geordnete Ausbildung kam: Auch die HFF musste sich bei laufendem Studienbetrieb neu erfinden. Die ihr innewohnende Ausstrahlung von Ruhe, fundamentalem Wissen und überzeugendem Charme hat aber sicher mit entscheidend dazu beigetragen, dass der Studiengang Dramaturgie/Drehbuch in meinen Aufzeichnungen aus dieser Zeit nur sehr selten als Problemfall beschrieben wurde. Dabei hat ihr sicher geholfen, dass nicht alle Studierenden sich unbedingt im Film verwirklichen wollten, sondern auch in Richtung Belletristik schauten und da fanden sie offenbar in Helga Schütz eine ideale Partnerin.

    Als Helga Schütz 2002 in den professoralen Ruhestand ging hat sie Kolleg*innen und Student’innen  in ihren Garten und in ihr Haus eingeladen. Ich erinnere mich, dass sie uns durchaus auch mit nicht alltäglichen Speisen und Getränken bewirtete. Der Garten spielt ja eine Hauptrolle in ihrem 2001 erschienenen Buch „Dahlien im Sand“. Ein bemerkenswertes Buch, dass sehr viel über ihre Beziehungen zu der Stadt aussagt, die sie als Ehrenbürgerin würdigt.

    Es sind durchaus liebevolle Beziehungen mit gelegentlichen Entfremdungserscheinungen, die wir ja auch aus anderen Liebesbeziehungen kennen, die Helga Schütz mit dem Geschichts-, Stadt- und Naturprojekt Potsdam verbinden. Die meisten ihrer literarischen Produktionen - wozu ich auch ihre Filme zähle - haben einen Bezug zur Stadt Potsdam bzw. zu ihrer Umgebung und damit hat sie gleichzeitig auch den Namen Potsdam in die Welt hinausgetragen.

    Ich will das, was ich meine, mit einem letzten Zitat aus dem Werk von Helga Schütz versuchen zu belegen:  „Die Hortensie war wieder da, nach dem Film Tod in Venedig tauchte sie in Filmen der Visconti-Nachfolger auf und auch schon vereinzelt in Gärtnereien als Geburtstagsblume für Liebhaber. Nun steht sie im Center für jedermann. Großblumiger denn je. Und in diese hohe Blütezeit fällt Luises 225. Geburtstag (gemeint war Luise von Mecklenburg-Strelitz, vermählt mit Friedrich Wilhelm III), verbunden mit Ausstellungen, Vorträgen und Exkursionen, Erinnerungen an Preußen. Meine Hortensie aus besagtem Massenangebot steht wie im geborgten Ballkleid zwischen alt ansässigen Rudbeckien (Sonnenhüte), wuchernder Pfefferminze, abgeblühten Glockenblumen. Overdressed im Spreu der Kiefernadeln“.

    So brillant bringt man Geschichte, Kultur und Natur in Twitter-Nachrichten und auch in politischen Reden nicht zusammen. Wir haben jetzt eine Ehrenbürgerin, die das kann: Sie kann Filme, Bücher und Garten, was sie m.W. noch nicht versucht hat, ist Theater, vielleicht wäre das ja eine Anregung für sie? Theatralische Szenen gibt es in Potsdam ja genügend.

    Liebe Helga Schütz, ich verneige mich vor Ihnen!